Vaclav und Lena
nur den Sommer über auftauchte.
Lena ist weg, und das wegen Rasia, die nichts von Amerika und der amerikanischen Polizei versteht, außer dem, was sie in
Law & Order
sieht, und die einen Riesenfehler gemacht hat und der Polizei Sachen erzählt hat, die wahrscheinlich nicht einmal wahr sind. Und wahrscheinlich hat die Polizei sie wegen ihrer grummelnden, heiseren Sprache auch nicht richtig verstanden, und sie hat in ihrer Dummheit die Polizei dazu gebracht, Lena mitzunehmen.
Vaclav ist wie ein leerer Mensch, er hat nichts.
Vaclav hat nichts außer seiner Wut.
Auf seine Mutter.
Den ganzen Tag über wächst seine Wut und erzeugt mehr Wut, und die brennt in seiner Kehle.
Jeden Tag wacht er auf mit dem Gedanken, dass Lena vielleicht zurückkommt. In der Schule wartet er den ganzen Tag darauf, dass sie durch die Tür tritt.
Nach der Schule geht Vaclav nach Hause und verschwindet sofort in seinem Zimmer. Er kommt nicht zum Abendessen heraus, auch nicht, wenn man ihn ruft, und er kommt nicht heraus oder gibt Antwort, wenn seine Mutter draußen vor der Tür sitzt, leise weint und sagt »bitte, bitte«.
|147| GETRENNT: VACLAV
|149| Der Zauberer, die Mutter und das amerikanische Mädchen
»Klopf, klopf, ich komme rein«, sagt Rasia laut zu Vaclavs geschlossener Zimmertür. Rasia hat sich angewöhnt, anzuklopfen und gleichzeitig zu sagen, dass sie klopft. Sie tut das, seit Vaclav größer ist als sie und in der Dusche mit so tiefer Stimme singt, dass Rasia, wenn sie manchmal seine Stimme hört, denkt, oje, da ist jemand in unser Haus eingebrochen und duscht sich bei uns, ein Serienkiller, wie der Mann in der Fernsehshow
Special Victims Unit
, der eine rituelle Waschung vornimmt, bevor er seine Opfer brutal umbringt, und genau dieser Mann wird jetzt aus der Dusche kommen und mich umbringen.
Er verblüfft sie. Wann ist er siebzehn geworden? Er war doch ewig der Kleine, und jetzt ist er plötzlich so groß wie ein Mann und hat eine Freundin. Sie macht sich so ihre Gedanken, und das ist auch der Grund dafür, dass Rasia anklopft, und es ist auch der Grund, weshalb sie immer häufiger in sein Zimmer kommt.
»Mama! Komm rein! Ich möchte dir etwas zeigen«, ruft Vaclav. Rasia kann in seiner Männerstimme die Weichheit und Beharrlichkeit des kleinen Jungen hören, der ihr unbedingt |150| dies oder jenes zeigen muss. Dieses Bedürfnis hat bislang nicht nachgelassen.
Rasia öffnet die Tür und ist erleichtert, weil das Bett gemacht ist und nicht zerwühlt und ihr kleiner Junge und das hübsche amerikanische Mädchen nicht wie befürchtet ineinander verschlungen und nackt im Bett liegen. Ihr Sohn steht da und hält zahlreiche Dollarscheine in der Hand. Das ist Teil seines neuesten Zaubertricks, Dollarscheine verschwinden zu lassen. Warum er diesen Zaubertrick können will, warum überhaupt jemand diesen Trick sehen will, versteht Rasia nicht.
Das hübsche amerikanische Mädchen sitzt auf dem Fußboden und hat die Beine zu beiden Seiten ausgestreckt wie eine Ballerina, die gerade Dehnübungen macht. Dieses amerikanische Mädchen, dessen Name Rasia immer wieder vergisst, sitzt niemals auf einem Stuhl. Immer hockt sie auf dem Boden, die Beine im Raum, verschränkt wie bei den Indern oder oben auf dem Schreibtisch, oder sie liegt bäuchlings auf dem Boden und liest ein Buch für die Hausaufgaben. Wer macht denn so seine Schulaufgaben, bäuchlings auf dem Boden wie eine Schlange oder ein Kartoffelbauer?
Warum vergisst Rasia den Namen des Mädchens immer wieder? Weil es ein Jungenname ist, etwas wie Fred oder Bob. Es ist unverständlich, wie ein Mädchen so heißen kann.
Es gibt auch noch etwas anderes, das unverständlich ist: Wer sind diese Eltern, die in einem Schickimicki-Sandsteinhaus wohnen, aber ihrer Tochter nicht beibringen, dass man als anständiger Mensch auf einem Stuhl sitzt? Wer sind diese Eltern, die nicht einmal Geld dafür ausgeben, um ihrer Tochter ein paar neue Jeans zu kaufen, die nicht überall an den Knien |151| und genau unterm Hintern diese Löcher haben? Warum kann man dem Mädchen nicht einen hübschen Rock kaufen und eine Strumpfhose und ihm beibringen, auf einem Stuhl zu sitzen?
Rasia schaut auf Vaclav, der seine Dollarscheine festhält und sein albernes Lächeln zeigt. Bei den meisten Menschen ist das Lächeln oft nicht echt. Die meisten lächeln, wenn sie lügen, betrügen oder etwas versprechen. Vaclavs Lächeln ist einfach ein Lächeln, und es ist immer aufrichtig.
Das Mädchen sitzt auf dem
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