Vaclav und Lena
Handschrift steht da: ROSA FLAMINGOS SAMSTAG 19 UHR OZZIE’S COFFEESHOP E INTRITT FREI!
|154| »Warum nehmt ihr nicht Vaclavs Computer und Drucker? Ihr könntet es schön mit Bildern machen und die Wörter tippen, dann sieht es hübscher aus. Dann kommen die Leute und hören sich eure Musik an und denken nicht, dass ihr verrückt seid. Okay? Macht es noch einmal mit Computer«, sagt Rasia. Es soll ein Vorschlag sein, aber ihre Worte jagen aus ihrem Mund, ratter, ratter, und klingen wie ein Befehl.
»Ja, danke. Ich weiß, das sieht irgendwie schludrig aus, aber das ist genau gewollt. Ich meine, darum geht es doch. Das ist eine ganze Bewegung, eine eigene Ästhetik, verstehen Sie, die ganze DI Y-Sache , vermutlich von den ursprünglichen DIYzinen«, sagt Ryan, und Vaclav lächelt. Er weiß, dass Ryan erklären muss, wieder und wieder erklären muss, was sie gerade gesagt hat, Rasia möchte nämlich wissen, was all diese Wörter bedeuten, und Ryan muss weitere neue Wörter gebrauchen, um diese Dinge zu erklären; und Ryan dabei zuzusehen, wie sie sich ernsthaft bemüht, Rasia verständlich zu machen, weshalb ihr Band -Poster selbst gebastelt aussehen soll, ist aus irgendeinem Grund eines der Dinge, die er an Ryan am liebsten hat.
»Was ist dieses DIY-zine?«, fragt Rasia.
»DIY steht für DO IT YOURSELF und ›zine‹ kommt von
magazine
, es ist ein kleines unabhängiges Magazin, das selbst gemacht ist, und weil es selbst gemacht ist, sieht es nicht so aus wie all diese Hochglanzmagazine, es ist cooler«, sagt Ryan.
»Okay. Wenn ihr den Computer benutzt, ist das nicht auch DO IT BY YOURSELF?«, fragt Rasia.
»Ja, mit dem Computer ist es immer noch total do it yourself, es sieht dann bloß nicht mehr cool aus«, sagt Ryan.
»Der Computer ist das Neue, das Coole. Das sagt jeder. Ihr |155| solltet das nächste auf dem Computer machen und jedem zeigen, wie schön das aussehen kann, das ist cooler«, sagt Rasia.
»Nun ja, jedenfalls«, beginnt Ryans Erklärung, »das Ganze ist eine Reaktion auf die massenproduzierte Geschlecktheit von …«
»Mama, ich möchte dir diesen neuen Zaubertrick zeigen, an dem ich gerade arbeite«, sagt Vaclav, um Ryan vor sich selbst zu schützen.
»Hausaufgaben gemacht?«, fragt Rasia.
»Hausaufgaben gemacht! Die machen wir, sobald wir nach Hause kommen«, sagt Vaclav.
»Das glaube ich nicht«, sagt Rasia.
»Doch, wirklich!«, sagt Ryan. »Ich kann mich erst auf etwas anderes konzentrieren, wenn ich meine Hausaufgaben hinter mir habe. Ich kann nicht relaxen, ich denke die ganze Zeit nur, ›ich hab noch Hausaufgaben zu machen‹, verstehen Sie?« Rasia lächelt sie an, schweigt und schaut schnell zurück zu Vaclav.
»Alle gemacht?«
»Okay, ein paar habe ich noch für später aufgehoben, das ist aber nicht so wichtig«, gibt Vaclav zu.
»Ach! Hab ich’s doch gewusst! Zauberei kommt nach den Hausaufgaben«, sagt Rasia.
Rasia hat mit ihrem Hausaufgaben-Feldzug begonnen, als Vaclav noch sehr klein war. Sie ist nicht aus Russland gekommen und hat ihre Mutter und ihre Oma Lidia zurückgelassen, die sie auf dieser Welt niemals wiedersehen wird, damit ihr Sohn als Bettler auf der Straße endet, was wahrscheinlich das Ergebnis von all dieser Zauberei sein wird. Bislang hat sie ihn jeden Tag seines Lebens dazu angehalten, seine Hausaufgaben zu machen. |156| Sie ist überzeugt, dass er nur so in den Besitz der Magie kommt, der Bildung nämlich, dem Schlüssel zum Erfolg in dem neuen Land. Er wird aufs College gehen, wird seine Abschlüsse machen, und die Ausbildung wird so sehr Bestandteil seines Lebens sein, dass er gut und erfolgreich sein wird.
Vaclav lacht, umarmt seine Mutter und küsst sie auf die Wange. Er muss sich dazu hinunterbeugen, und er weiß, dies gibt seiner Mutter das Gefühl, dass er ein ausgewachsener Mann ist, und gleichzeitig hat sie das Gefühl, er ist noch ihr kleiner Junge, und beides erfüllt sie mit Freude. Sie tut so, als wäre sie verärgert, aber er weiß, dass sie nicht länger verärgert sein kann, wenn er sie erst einmal so umarmt hat. Sie ist nun die Mama, der es warm ums Herz ist, und sie kann ihm nicht mehr böse sein.
»Schaust du dir meinen Trick an? Bitte. Bitte. Bitte. Setz dich aufs Bett, bitte.« Er nimmt Rasias Hand, führt sie zum Bett und fährt mit seiner Hand über die Decke, als wischte er für sie kurz über einen Stuhl, und sie ist bezaubert von ihm, als wäre sie ein Mädchen.
Wann, fragt sie sich, ist mein Sohn so charmant
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