Vaclav und Lena
einer Achterbahn zu sitzen.
|282| »Wirklich«, sagt sie.
»Ich weiß. Du musst nichts erklären. Ich weiß es. Ich fühle genauso.«
»Ich weiß nicht wieso, aber ich will nicht, dass du mit jemand anderem zusammen bist«, sagt sie.
Er schweigt.
»Ich weiß, das ist blöd«, sagt sie, »es ist nur so ein Gefühl.«
»Das ist nicht blöd, gar nicht.« Die Art, wie Lena zu ihm spricht, gibt ihm das Gefühl, dass Ryan so reizvoll und wichtig ist wie die Anleitung zu einem Spiel, das man nicht mehr hat, ein Spiel, bei dem man sich nicht einmal mehr vorstellen kann, dass es jemals Spaß gemacht hat.
Vaclav vergisst, dass er sich noch eben sicher war, nichts falsch gemacht zu haben, dass er Lenas Zorn wegen Ryan ungerecht fand. Er hätte Ryan erwähnen sollen, das stimmt, aber er hatte weder versucht, sie zu verheimlichen, noch zu lügen, er hatte bloß nicht an sie gedacht, er hatte sie vergessen.
»Es tut mir leid«, sagt er. »Ich möchte nur mit dir zusammen sein.«
Lena lächelt und sagt nichts.
»Ich möchte dich jetzt sehen, ich komme vorbei.«
»Es ist mitten in der Nacht.«
»Ich meine es ernst«, sagt er, »ich möchte mit dir allein sein.«
»Ich kann nicht.«
»Dann komme ich morgen zu dir nach Hause.«
»Meine Mama wird den ganzen Tag zu Hause sein.«
»Gut, gehen wir zu uns nach Hause. Meine Mama ist erst zum Abendessen zurück«, sagt er. »Wir treffen uns nach der Schule.«
|283| »Okay«, sagt sie und beendet das Gespräch, erstaunlich gelassen, als hätte sie gewusst, dass sie das vereinbaren würden, ja, genau das hatte sie gewusst.
Versuch, das flüchtige Glück aufzuhalten
Draußen vor dem Fenster färbt die Sonne den Himmel blutrot, und die Vögel erwachen. Das Haus ist ruhig bis auf die Dusche, die läuft, und das Bumm, Bumm, Bumm von Vaclavs Herzschlag in seinen Ohren.
Sein Wecker klingelt erst in einer Stunde, aber er ist schon wach. Er kann nicht schlafen, denn das Adrenalin rast durch seine Adern und schießt ihm ins Gehirn.
Vaclav freut sich so sehr darauf, Zeit mit Lena allein zu verbringen, dass er an nichts anderes mehr denken kann. Er hat Angst, sich zu verplappern und es seiner Mutter beim Frühstück zu erzählen. Als sie ihn fragt, was er nach der Schule vorhat, muss er sich anstrengen, nicht das zu sagen, was ihm auf der Zunge liegt.
Mitten in der Physikstunde, während Vaclavs Gedanken zu Lena schweifen, wird ihm klar, dass das Problem mit Ryan noch nicht gelöst ist. Sie sitzt schmollend zwei Reihen vor ihm.
Wie konnte Lena über Nacht von einer Sehnsucht zu einer Sucht werden? Sie scheint sich in seinem Leben festgesetzt |284| zu haben und sich alsbald, ohne dass er es merkte, von einem Sämling zu einem ganzen Dschungel ausgewachsen zu haben.
Als er den Gang entlanggeht, stellt er fest, dass seine Freunde nicht auf gleicher Wellenlänge mit ihm sind. Sie sprechen über den Ethikunterricht vom Vormittag, den er praktisch verschlafen hat, sie schwärmen von einer Fernsehsendung, die er nicht gesehen hat und auch nicht sehen möchte. Er wundert sich, wie sie so was überhaupt wichtig nehmen können. Er wünscht sich, er könnte ihnen von der aufregenden Neuigkeit erzählen, und hat das Gefühl, dass sie ihm entgleiten, wie alles andere auch.
Lena wacht glücklich und aufgeregt auf. In der Schule wird sie für Augenblicke voll davon in Anspruch genommen, Verben zu konjugieren oder eine Zeitleiste zu erstellen, bis sie wieder der Gedanke an Vaclav überfällt, und sie wird kribbelig vor Vorfreude. Als die Zeit des Wiedersehens näherrückt, wo sie sich küssen und umarmen werden, vergessen beide alles, was störend sein könnte. Die Minuten verrinnen langsam, und alles andere auf der Welt verliert an Bedeutung.
Nach der Schule stürzt Lena davon, und jeder auf dem Bürgersteig ist für sie wie eine alte Dame, die mit ihrem Gehstock ängstlich den Asphalt abklappert und Lena in die Quere kommt. Sie kann es nicht erwarten, Vaclav zu sehen, und hüpft und schlängelt sich durch die Menge zu ihm.
Als Vaclav sie sieht, versucht er seinen Impuls, zu ihr hinzulaufen, zu unterdrücken wie ein Kichern in der Klasse, ein Niesen bei einem Begräbnis, doch als er sie beinah erreicht hat, fällt er in einen Laufschritt, ähnlich einem Hopser beim Seilhüpfen, aber das ist ihm egal, und er greift nach ihrer Hand. »Komm, meine Mama ist vor sechs nicht zu Hause.«
|285| Der Tod ist das Ende jeglichen Glücks
Manchmal ist das Gefühl, sich an der Hand zu halten, zu viel für
Weitere Kostenlose Bücher