Vaclav und Lena
besser gehabt hat und sich alles zum Guten für sie gewendet hat. Irgendwie hat er sich immer ausgemalt, dass sich für Lena alles zum Schlechteren hin entwickeln würde, vielleicht, weil es für ihn danach so viel schlechter wurde.
Die Sonne geht unter, und es wird kühl. Er gibt ihr sein Sweatshirt, denn ihm kann jetzt alles Mögliche sein, aber bestimmt nicht kalt. Und sie reden weiter, bis es dunkel ist und der Park schließt.
Dann stehen sie auf und gehen zur U-Bahn , und er sagt, er könne es nicht erwarten, bis sie wieder an der Zaubervorführung arbeiten würden. Er habe nie eine Ersatzassistentin gefunden.
Sie lächelt ihn an und sagt, sie könne es nicht erwarten, sagt sie, mit der Planung für ihre Reise nach Russland zu beginnen.
|273| Von der Schwerelosigkeit in der Liebe
Wann immer Vaclav und Lena Zeit miteinander verbringen, befinden sie sich in einem Zustand von Berauschtheit und Begeisterung. Wie hungrige Hunde mit wildem Blick, wie neu Bekehrte. Sie gleiten durch die Schule wie Zombies, doch niemand bemerkt es. Zum ersten Mal macht Lena ihre Hausaufgaben zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn im Gang, gegen ein Schließfach gelehnt, anstatt mit Sorgfalt und noch am gleichen Nachmittag daheim am Küchentisch, wo Em ihr Gesellschaft leistet und aufpasst wie die Feuerwehr.
Bis jetzt war Hausaufgabenmachen immer eine Katastrophe gewesen. Da wurde viel am Bleistift herumgekaut, da wurden Minen abgebrochen, und da wurde Papier in Fetzen gerissen. Lena ist erstaunt, wie leicht es ihr mit einem Mal fällt, alte Gewohnheiten abzuschütteln. Auch Em freut sich. Dass Lena stundenlang versunken in die Arbeit und verbissen am Küchentisch Hausaufgaben gemacht hatte, war schon besser gewesen als ihre Schreikrämpfe, doch am Ende auch nur wieder Ausdruck ihrer mangelnden inneren Stabilität.
Vaclav macht jetzt seine Prüfungen, ohne sich vorzubereiten, er bringt das Mittagessen hinter sich, ohne Witze zu machen, ohne seine Freunde zu unterhalten, ohne auch nur einen Zaubertrick vorzuführen. Ständig schreibt er etwas für Lena auf, um es ihr vorzulesen und zu schenken. Er sagt ihr, wie oft er an sie denkt und wie wunderbar er sich fühlt. Er verfasst in einem fort Listen mit Plänen für die Russlandreise. Er kommt mit immer neuen Vorschlägen, wie sie an Geld kommen könnten, |274| welche Fragen sie stellen und welche Orte sie aufsuchen sollten. Seine Lieblingsidee ist es, das nötige Geld mit Zaubervorführungen zu verdienen. Das wäre perfekt, so würde der Kreis sich schließen. Wie es nicht anders hatte kommen können, sind er und Lena wieder zusammen, er, der berühmte Zauberer, und sie, seine liebliche Assistentin.
Von der Ausschließlichkeit in der Liebe
Vaclav läuft mit schweren Lidern in die Schule. Er hat nicht mal eine Stunde geschlafen, weil er die Nacht hindurch mit Lena telefoniert hat. Die ganze Nacht haben sie Pläne geschmiedet. Er hat sich ausgemalt, wie sie das Flugzeug besteigen, abheben und in ein unbekanntes Land fliegen. Er weiß, sie können es schaffen, weil sie alles schaffen können.
Vaclav sieht Ryan nicht sofort, er ist zu müde und in Gedanken noch bei Lena. Wie leicht war es, acht Stunden lang mit ihr zu reden. Ryan beobachtet, wie Vaclav den Gang entlang zu seinem Schließfach läuft, und sie ist nicht allein. Auch ihre Freundinnen beobachten ihn.
»Hallo!«, sagt Vaclav und ihm wird augenblicklich klar, dass etwas nicht stimmt.
»Du hast meine Show verpasst.«
»Das tut mir wirklich leid«, sagt er und ihm wird bewusst, dass er Ryan ganz und gar vergessen hatte.
|275| »Lindsey hat dich gesehen«, sagt sie.
»Was?«
»Lindsey hat dich mit dem Mädchen gesehen. Im Fort Greene Park.«
»Was?«
»Sie hat dich mit so einer Kraushaarigen gesehen.« Zum ersten Mal wird Vaclav bewusst, dass Lena und Ryan einander ausschließen könnten.
Ryan hat Tränen in den Augen.
»Sie ist bloß eine Freundin …«, beginnt er, aber Ryan geht schon weg.
Von der Einsamkeit in der Liebe
Vaclav tut das mit Ryan schrecklich leid. Seit Lena zurück ist, hat er überhaupt nicht mehr an sie gedacht. Ihm dreht sich der Magen um, und er spürt ein Stechen im Kopf, was ihm jetzt nicht gerade weiterhilft. Aber er hat das Gefühl, er könne mit Lena über alles sprechen. Also beginnt er Lena davon zu erzählen, als sie im Park unter ihrem Baum sitzen, der in dem Moment, wo sie zusammen unter seinen Ästen sitzen und mit seinen Früchten spielen, zu einem besonderen Baum auf der Welt
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