Vaethyr: Die andere Welt
empfandst, aber zugleich fand ich es auch schrecklich, dich so verletzt zu sehen. Es tut mir leid.«
»Nein«, sagte sie rasch. »Das braucht dir nicht leidzutun. Ich bin darüber hinweg.«
Seine scharf gezeichneten Augenbrauen gingen wieder nach oben. »Heißt das, du bist mit jemandem zusammen?«
»Nein. Ja. Gewissermaßen.«
»Okay, aufhören. Diese Neuigkeiten will ich gar nicht hören.«
»Es ist noch ganz am Anfang«, sagte sie lahm.
Sam stierte auf den Tisch. Gleich darauf schaute er wieder auf und forderte sie mit sanfter Stimme auf: »Erzähl mir, was du sonst noch so machst auf dem College. Wie ich sehe, hält dich die körperliche Arbeit bemerkenswert fit. Ich kann mir dich gut vorstellen, wie du im ärmellosen T-Shirt mit einer beladenen Schubkarre herumkurvst, deine goldenen Arme glänzend vor Schweiß. Dann rutscht das T-Shirt ein wenig hoch über deine feste, schmale Taille und überall deine Haare. Du wirst in null Komma nichts deine eigene Fernsehshow haben.
Sie verdrehte die Augen. »Mein Gott, das sind also deine Fantasien in der Zelle?«
»Nun ja«, sagte er und öffnete die Hände. »Hast du irgendwelche Fotos dabei?«
»Ich könnte dir ein Foto von einer kalten Dusche mitbringen.«
In seinen Augen glänzte eine Mischung aus Spott, Lust und Zuneigung, die sie erröten ließ. »Komm schon, dich in Verlegenheit zu bringen ist doch der einzige Spaß, den ich habe. Erzähl mir was wirklich Langweiliges über Pflanzen. Ansonsten werde ich nicht in der Lage sein aufzustehen.«
»Du bist widerlich«, sagte sie nachsichtig.
»Na los. Der Unterschied zwischen Einjährigen und Mehrjährigen. Egal.«
»Wozu?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich höre so gern den Klang deiner Stimme.«
Als sie zu erzählen begann, traf sie verspätet eine schockierende Erkenntnis. Plötzlich fiel es ihr schwer, zu akzeptieren, dass Sam, wenn sie ging, nicht mit ihr kommen konnte. Sie konnte die schreckliche Vorstellung, ihn hier an diesem Ort zurückzulassen, kaum ertragen. Ihr Mitgefühl entsprang reiner Menschlichkeit, doch sie durfte niemals zulassen, dass er ihre Abwehr durchbrach. Die Distanz, die sie zu ihm aufgebaut hatte, war mächtig, aber er versuchte ständig zu ihr vorzudringen, das war das Spiel.
»Brauchst du denn etwas?«, fragte sie, als die Besuchszeit zu Ende war.
»Ich bin im Gefängnis, nicht im Krankenhaus«, sagte er. »Mitleid brauche ich nicht.«
»Das kriegst du auch nicht. Ich möchte nur helfen, mehr nicht.«
Er grinste frech. »Also gut, wenn du darauf bestehst. Wie wär’s, wenn du das nächste Mal als ehelicher Besuch kommst?«
»Träum weiter«, erwiderte Rosie.
»Nun, versuchen kann man’s doch«, meinte er seufzend und sah sie dabei durch seine dunklen Wimpern an. »Doch es gibt da tatsächlich was. Da du schon so eine begeisterte Spionin bist, was hältst du davon, als Doppelagentin zu arbeiten?«
»Was willst du damit sagen?« Sie brauchte einen Moment, bis ihr klar wurde, dass er es ernst meinte.
»Einer der Gründe, weshalb ich wieder nach Hause zurückkam, war der, dass ich mir Gedanken wegen Sapphire machte. Einfach nur … wer zum Teufel sie eigentlich ist? Denn genau weiß ich das nicht, und ich glaube auch nicht, dass Dad es weiß. Ich wollte mal ein wenig auf den Busch klopfen, aber dazu bekam ich dann ja keine Gelegenheit. Und sie konnte es gar nicht erwarten , dass ich in Handschellen abgeführt werde.«
»Dann soll ich also für dich ein wenig herumschnüffeln?« Rosie war perplex.
»Wenn’s dir nichts ausmacht? Aber geh bitte nicht zu ihr und sage: ›Ich muss ganz offen zu Ihnen sein, ich spioniere für Sam.‹ Es soll geheim bleiben, verstehst du?« Er zwinkerte. »Ich werde dich dafür bezahlen.«
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«
»Nun, wen soll ich denn sonst fragen? Jon ist zu unzuverlässig. Und was ist mit Lucas? Der ist doch öfter mal auf Stonegate, er könnte sich umsehen und dir berichten … Dann teilt ihr euch das Honorar?«
»Entschuldige, wie bitte ? Du möchtest, dass mein kleiner Bruder die Drecksarbeit für dich erledigt? Und das, wo ich kurz davor stand, dich zu mögen!«
»Okay, war keine gute Idee.« Er schien zu bemerken, dass sie wirklich empört war, aber sein Ausdruck blieb unverändert ernst. »Das ist nicht lustig, Rosie. Sollte sie irgendwas planen, dann muss ich es wissen, weil meine Familie Schaden nehmen könnte. Wenn dir so viel an Lawrence und Jon liegt, dass du mich sogar an ihrer Stelle besuchst, dann kann
Weitere Kostenlose Bücher