Vaethyr: Die andere Welt
Geschäfte kümmert, damit er die Freiheit hat, über seinen Dämonen zu brüten? Oder soll ich mir nehmen, was ich kriegen kann, und dann gehen? Oder soll ich ihn dazu zwingen, mir endlich die Wahrheit zu sagen?
Bei der Berührung ihres Rückens zuckte sie zusammen. Lawrence stand hinter ihr und legte ihr ihre Stola über die Schultern. »Du hast gezittert«, sagte er.
»Lawrence«, tastete sie sich vor, »warum hast du Lucas nicht mehr gesehen, seit er wieder zu sich kam?«
»Was soll ich ihm sagen? Ich bot mich an, seine Geräte abzuschalten. Natürlich nur für den Fall, dass es getan werden musste und sich keiner dazu in der Lage sehen würde. Auberon glaubt jedoch, dass Lucas es gehört und missverstanden hat. Da ohnehin alle entschlossen sind, mich für den Teufel zu halten, war das unvermeidlich. Ich hielt es für taktvoll, mich fernzuhalten.«
»Es ist nicht schwer, derartige Überzeugungen auf jemanden zu projizieren, der nie seine wahren Gedanken offenbart«, erwiderte sie gallig.
Seine Hände auf ihren Schultern fühlten sich an wie Klauen. »Was meinst du damit?«
»Ich bin kein Rettungsanker, an den man sich im Dunkeln klammert, Lawrence, aber genauso behandelst du mich.«
Er ließ seine Hände fallen. Sie hörte ihn seufzen. »Ich weiß. Du warst so geduldig. Ich hätte dich da nicht hineinziehen dürfen. Verzeih mir.«
Sie drehte sich um und streckte ihre Hand aus, um seinen Wangenknochen zu berühren. »Willst du mich denn wirklich?«, fragte sie ihn mit leiser Stimme. »Wir haben nur dann eine Chance, wenn du einwilligst, ehrlich zu mir zu sein.«
Lawrence entfernte sich. Sie hörte das Klirren von Glas und für einen kurzen Moment fiel das Licht aus der Minibar in den dunklen Raum. »Was willst du wissen?«
Da war sie. Die Chance für sie beide, das kalte Spiel zu beenden, das sie schon seit Jahren spielten, und endlich eine wirkliche Beziehung zu beginnen. Sapphire schauderte. Diese Aussicht war beängstigender, als sie gedacht hatte – vielleicht für sie beide –, doch auch ein ungeheurer Nervenkitzel, wie wenn man am Rand eines Abgrunds steht.
»Zwei Dinge. Ist es einem Menschen möglich, die Anderswelt zu betreten? Und wäre es denkbar, dass dieser alte Feind von dir, Barada, der, wie du sagtest, verschwunden ist – dorthin durchgedrungen ist?«
Lawrence hüllte sich in Schweigen. Dick und schwerelos fiel der Schnee. Schließlich murmelte er: »Theoretisch wäre es einem außergewöhnlichen Menschen möglich, sofern der Wille vorhanden ist, es zu tun. Aber nicht Eugene Barada. Ich habe ihn erschossen.«
Rosie brauchte Raum zum Nachdenken und der Schnee verhalf ihr dazu. Während Schneepflüge die Hauptstraßen freiräumten, blieben die Straßen von Cloudcroft unpassierbar. Drei Tage lang schneite es unentwegt und der Wind verwehte sofort jeden Pfad, der freigeschaufelt worden war. Das Schneelicht erfüllte das Haus mit seinem stumpfen Perlenschimmer.
Wenigstens wussten sie inzwischen, dass Matthew in Sicherheit war. Sam hatte angerufen, um mitzuteilen, dass er auf Stonegate bleiben werde, bis sich das Wetter besserte. Auberon hatte eigentlich vor, sofort zu ihm zu gehen, aber die Schneestürme, die hüfthohen Verwehungen und Matthews Hartnäckigkeit hielten ihn davon ab.
Fürs Erste war das normale Leben außer Kraft gesetzt. Sie telefonierten jeden Tag mit Lucas und versprachen ihm, sobald die Straßen frei waren, wieder zu ihm zu kommen. Lawrence und Sapphire saßen in einem Hotel in Leicester fest. Phyllida blieb im Krankenhaus, und so hatte Luc wenigstens seine Tante zur Gesellschaft.
Diese gespenstischen Tage im vom Schnee eingeschlossenen Haus waren merkwürdig friedlich. Rosie fand zu einem Zustand der Gelassenheit. An den Nachmittagen saßen sie und Jessica aneinandergekuschelt auf dem Sofa und schauten hinaus in die trübe Schneelandschaft des Gartens. »Bis man uns hier ausgräbt, müssen wir von Dosensuppen leben«, sagte Jessica. »Ich kann es gar nicht erwarten, bis alle wieder zu Hause sind.«
»Mir geht es genauso«, sagte Rosie. »Mehr will ich gar nicht, als dass das Leben wieder normal verläuft. Aber das geht nicht. Alles hat sich verändert.«
Jessica fragte vorsichtig: »Hat Sam dich angerufen?«
»Wir haben uns gesprochen«, erwiderte Rosie seufzend, »aber richtig geredet haben wir nicht miteinander. Keiner von uns weiß so recht, was er sagen soll. Wir bemühen uns, würdevoll mit der Situation umzugehen. Er meinte, er werde vielleicht ohnehin
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