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Valadas versinkende Gaerten

Valadas versinkende Gaerten

Titel: Valadas versinkende Gaerten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldtraut Lewin
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Augen nicht zu trauen. In dieser Ecke steht noch immer wie ein bestraftes Schulkind dies schwarze Mädchen. Sie hat die Arme erhoben und an die Wand gepresst und ihren Kopf darauf gebettet. So treten die Schulterblätter hervor, dünn und rührend. Der lange Rücken mit der deutlich sichtbaren Wirbelsäule (man könnte Station für Station an ihr abzählen), der Schwung der Hüften hin zu dem winzigen, prall gewölbten Apfelarsch. Ihre langen Schenkel. Die Beine zittern, und ab und zu überläuft auch ein Schauer die Haut des Rückens, als würde ein Windhauch eine Wasserfläche kräuseln.
    Draußen wird es hell . . .
    Ich tippe sie vorsichtig an die Schulter. Sie erschauert erneut, wendet sich nicht um.
    »Nazik!«, flüstere ich. »Komm mit mir. Ich bringe dich fort. Die Herrin schläft. Du hättest längst gehen können.«
    Noch immer rührt sie sich nicht. Zu ihren Füßen liegt die hauchdünne Ghilala, das hemdartige Gewand, das sie bei dem Fest als Bedienerin getragen hat.
    Sie stand in der Ecke, mit dem Rücken zu uns, um so zu erleben, wie andere miteinander glücklich waren. Und sie wurde vergessen. Mehr an Verachtung ist nicht möglich.
    Und ich . . . auf einmal habe ich einen Druck im Bauch, einen Druck von Schuld, obwohl ich doch gar nichts getan habe, außer, sie nicht zu wahrzunehmen. Aber vielleicht ist das schon schlimm genug. Ich schlüpfe in mein Kleid, hebe denleichten Überwurf auf, den ich getragen habe, und verhülle damit die Gestalt des schwarzen Mädchens. Dann nehme ich sie bei der Hand und führe sie fort. Sie leistet keinen Widerstand. Ihre Finger liegen schlaff und eiskalt in den meinen. Ich frage mich, ob ihr Körper genauso kalt ist, und kämpfe die Versuchung nieder, sie irgendwo zu berühren, am Hals, an der Schulter, an der Brust . . .
    Und so geh ich mit ihr durch das Haus; das gestrige Fest ist noch nicht ganz verklungen, in den Nischen zwischen den Säulen liegen immer noch Paare, entweder in festem Schlummer oder erneut miteinander beschäftigt, Küsse, verliebtes Stöhnen, Lachen bilden die Musik dieses frühen Morgens; irgendwo kräht ein Hahn, und sein Lärm erzürnt oder erheitert die Nachtschwärmer. Selbst aus den Laubengängen des kleinen Parks hinter dem Haus sind noch Laute der Liebe vernehmbar.
    Das Mädchen geht ein paar Schritte hinter mir, als ich sie über die begrünten Wege führe, bis hin zu dem Nutzgarten ganz am Ende des Anwesens, vorbei an den Wirtschaftsräumen und den Unterkünften der Dienerschaft.
    Ich nehme sie bei der Hand, als sei sie ein kleines Kind. Immer, wenn ich mich zu ihr umdrehe, sehe ich, dass ihre Augen halb geschlossen sind; es ist, als würde ich eine Blinde führen.
    In dem Raum, in dem der Hausverwalter seine Abrechnungen durchführt und die Arbeiten für den Tag einteilt, ist ein junger Gehilfe, ein Schreiber, schon damit beschäftigt, eine Liste für den Tag aufzustellen. Ich nähere mich ihm und krame in den Taschen meines weiten, dunklen Kleids nach einem Silberdirhem, den ich vor ihm auf den Tisch lege.
    Er sieht erstaunt hoch und begrüßt mich dann mit ehrfurchtsvollem Salam. (Man weiß im Haus, welche Stellung ich bei der Prinzessin habe, und ich bin jedes Mal stolz, wenn man mir Respekt bezeugt.)
    »Ich bitte dich, lass diese Sklavin heute tagsüber ausschlafen, sie hat eine anstrengende Nacht hinter sich. Und sieh zu,dass sie in den nächsten Tagen etwas abseits von den Gemächern der Herrin Dienst tut. Sie braucht Ruhe.«
    Der junge Kerl grinst wissend, sicher malt er sich die verwegensten Aktionen aus; wenn man in einem vom Eros besessenen Haus wie dem der Prinzessin lebt, sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Er steht auf und winkt dem Mädchen, ihm zu folgen, und erst, nachdem sie ihre Hand aus der meinen gelöst hat, folgt sie ihm, ohne mich angesehen zu haben; ich habe während der ganzen Zeit keinen einzigen Blick von ihr erhalten.
    Ich sehe ihr nach: Sie ist groß, größer als ich, trägt den Kopf gerade auf den Schultern und bewegt sich mit jenem Gleiten wie am Vorabend. Als habe sie nicht Stunden um Stunden in einer Ecke gestanden . . .
    Für einen Moment ist mir schwindlig. Vielleicht bin ich ja nur ermattet von dieser Nacht.
    Ich wende mich um und laufe zurück in Valadas Räume.
    Habe keine Lust, darauf zu warten, dass sie aufwacht und ich mit ihr über die schwarze Sklavin und ihr Verschwinden reden muss. Besser, ich hinterlasse ihr ein Verschen, das die Dinge verharmlost und entschuldigt.
    Papier und Tinte

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