Valadas versinkende Gaerten
Gebet.
Nur ein paar Schritte bis zur Synagoge.
Die Tore zum Vorhof stehen weit offen – sie sind gezeichnet von den tiefen Kerben der Axthiebe, aber auch sie haben gehalten.
Uns entgegen kommen diejenigen, die hier nachtsüber Sicherheit gesucht und gefunden haben; hauptsächlich Mütter mit ihren Kindern; sie sehen genauso unausgeschlafen und verängstigt aus wie meine Verwandten und unsere Dienerschaft. Sie grüßen scheu und ehrfurchtsvoll: Mein Vater ist ein wohltätiger Mann in der Gemeinde, seine Almosen ernähren viele arme Familien.
Wir gehen an ihnen vorbei ins Innere; ich folge meinem Vater in kurzem Abstand.
Das Bethaus war zum Nachtasyl geworden. Sogar auf der Bima, der Vorleseempore, hatte jemand seinen Schlafplatz errichtet. Nun ist man gerade dabei, die Synagoge gleichsamzurückzuverwandeln. Die Frauen und Mädchen sind dabei, Decken zusammenzufalten, Matten aufzurollen und die schreienden Kinder zu beruhigen. Was sie zu Haus erwartet, wissen sie noch nicht – hoffen, dass von ihrem Hausstand noch etwas übrig ist . . .
Etwas abseits stehen Männer, die gestreiften Mäntel über den Kopf gezogen, ein Gebetbuch in Händen; sie schaukeln sich im Rhythmus der Worte, die sie murmeln. Auch sie sind blass und haben tiefe Ringe unter den Augen.
Vorn beim Toraschrein haben sich die Würdenträger unserer Gemeinschaft versammelt. Ich erkenne unter ihnen den Nasi, den Vorsteher der Gemeinde, und unseren Rabbi Jakob Ibn Esra, ein sehr alter Mann, der so gebrechlich ist, dass ihn zwei junge Talmudschüler stützen und führen müssen. Aber sein Geist ist so klar wie ein Kristall, und sein Scharfsinn unübertroffen.
Ich nutze das Durcheinander in diesem weiten Raum und husche in die Frauenabteilung hinter den Vorhang, ohne dass man bemerkt, wer ich bin.
Ich höre die Schritte meines Vaters; er bewegt sich mit den Honoratioren der Gemeinde auf den Platz zu, von dem er weiß, dass ich mich dort im Versteck befinde, indem er begutachtet, ob der heilige Raum Schaden genommen hat durch die nächtlichen Asylanten.
(Er will, dass ich unmittelbar teilhabe am Gespräch. Wozu hat er mich schließlich mitgenommen!)
Es ist zunächst die Stimme des Rabbi zu hören, dünn und messerscharf.
Ich verstehe seine Frage nicht, er ist noch zu weit weg, aber die Antwort erreicht mich. Voll und wohltönend – unser Chasan, der Kantor und Vorbeter.
Es geht um die Opfer.
»Der Tajir Laban, der Fernhändler, ist umgekommen, und sein Haus ist geplündert worden. Er kam von weit, wollte dasNeujahrsfest zu Haus begehen, befand sich auf dem Weg zu seinem Anwesen. Sie waren hinter ihm her, stürmten mit ihm gemeinsam ins Tor, als er aufschloss. Er setzte sich zur Wehr.«
»Das Angedenken des Gerechten sei gesegnet!« Das ist wieder der Rabbi, die anderen murmeln die Formel nach ihm.
»Ein paar Hütten der Armen sind in Brand gesteckt worden.«
»Sie können auf unsere Barmherzigkeit bauen«, höre ich die Stimme meines Vaters, und das »Amen!« der anderen bestätigt den Willen der Reicheren der Gemeinde, zu helfen und zu spenden, wie es Brauch ist bei uns.
»Bei Nahum dem Hakim haben sie das Haus gestürmt, seine Instrumente verbogen und zerbrochen und seine Arzneien ausgegossen und verstreut. Sie sind ja der Meinung, dass Allah allein für die Gesundung eines Menschen verantwortlich ist, alle ärztliche Kunst ist von Übel und bedeutet einen Eingriff in den Schicksalsplan Gottes.«
Gemurmel, auch ein ärgerliches Lachen kommt auf.
»Was sind das nur für Narren!«
»Was für gefährliche Narren, ja. Ist dem Hakim etwas zugestoßen?«
»Er war mit seiner Familie nicht in Cordoba, dem Herrn sei Dank.«
»Der Teppichhändler Micha und David Ibn Zacharja, der gelehrte Sterndeuter, haben sich freikaufen können. Sie sind mit angesengtem Bart davongekommen. Ihre Weiber und Kinder waren hier in der Synagoge.« Das ist erneut der Chasan.
»Die Rechtgläubigen sind auch in dieser Nacht als Erstes vor Euer Haus gezogen und haben es belagert, Ibn Jeschulla. Und das hat seinen speziellen Grund.«
Ich höre das leichte Zögern in der Stimme meines Vaters, als er antwortet: »Sicher. Schließlich bin ich einer der reichsten Männer der Gemeinde.«
Und dann sagt der Rabbi, und sein Ton hat etwas Mitleidiges: »Ihr wisst selbst, Ismael, dass das nicht der eigentliche Grund ist.«
Nun höre ich nur die halblauten Stimmen der Frauen im Hintergrund, die sich gerade mit dem Synagogendiener über irgendetwas streiten. Unsere
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