Valadas versinkende Gaerten
ihm kam mit den Vorschlägen, der Hungersnot entgegenzuwirken, sagte er schlichtweg Nein. Eigentlich nur, um seinen Wesir vor den Kopf zu stoßen. Dass er damit demarmen Volk das Leben erschweren würde, das war ihm entweder nicht bewusst, oder es war ihm gleichgültig. Aber das Volk hält nun meinen ›hartherzigen‹ Herrn für den Schuldigen.
Und er selbst, Ibn Nagrella, machte und macht keine Anstalten weiter, die Entscheidung des Fürsten zu verändern, ihn umzustimmen. Ich vermute, der Nagid versteht einfach nicht, wie schlecht es den Leuten geht. Er ist aufgewachsen als der Sohn eines reichen und berühmten Mannes, und zur Zeit seines Vaters ging es allen Ständen in Granada den Umständen nach wohl. Er meint, das würde ewig so weitergehen, und hat kein Auge für die Armut der einfachen Leute, ganz gleich, ob sie Muslime oder Christen sind. Wenn wir, seine Räte und Sekretäre, ihm vor Augen halten, dass die Leute vor Hunger die Früchte der Bäume unreif essen und sich hinterher vor Schmerzen krümmen und dass sie Spelt und Kleie in den Teig ihres Fladenbrots rühren, weil ihnen das Mehl fehlt, so winkt er ab. Das will er nicht hören. Ich glaube, er weiß nicht einmal, womit man Brot backt.
Und Tag für Tag haben die Menschen vor Augen, in welchem Luxus der Wesir selbst lebt, wie er Tag für Tag das Geld mit vollen Händen rauswirft, schlemmt und sich in Samt und Seide kleidet.
Wenn er durch die Stadt reitet – und das muss er täglich, um von seinem Palast hier oben zum Alcazar des Fürsten zu gelangen –, werfen sich ihm Bittsteller in den Weg, greifen sogar nach seinen Steigbügeln, um, neben ihm herlaufend, sein Gehör zu finden, und Bettler strecken flehende Hände aus. Aber trotz unserer, seiner Gehilfen, Hinweise, dass er diesen Menschen mehr Beachtung schenken solle: Joseph Ibn Nagrella ist auf diesem Weg meist so sehr in Gedanken oder auch in ein Gespräch mit einem anderen wichtigen Amtsträger versunken, dass er unsere Warnungen für nichts achtet. Im Gegenteil scheucht er die Bedürftigen mit harschen Wortenund Gebärden fort oder befiehlt sogar seiner Garde, gegen sie vorzugehen und ihm den Weg zu säubern.«
Mein Onkel dämpft die Stimme, sagt bekümmert: »Und noch etwas. Sein Vater bemühte sich, bestimmte Aufgaben in der Verwaltung auf die Angehörigen unseres Volkes zu übertragen. Juden wurden nicht nur Schreiber, sondern auch Steuereintreiber und Marktaufseher. Das ist verständlich, aber es schuf schon damals viel böses Blut in Zeiten allgemeinen Wohlstands. Aber nun gibt es viele arme Schlucker auf dem Albaycin oder aus den Quartieren der Christen, und unsere Leute haben noch immer die gleichen Posten inne wie damals und üben sie weiter mit Konsequenz und Strenge aus. Unsere Gemeinde ist zudem wohlhabend, noch mehr als seinerzeit. Die Lage ist angespannt.«
Er seufzt.
»Und dann – ein Unglück kommt selten allein – bewarb sich ein muslimischer Gelehrter bei ihm um einen Posten, der ähnlich dem meinen war. Ibn Nagrella prüfte das Wissen und das Können des Mannes und lehnte ihn ab, und das geschah in ziemlich hochfahrender und spöttischer Art; ich kenne meinen Herrn.
Was er nicht wusste – ach, und wahrscheinlich hätte es ihn auch nicht gekümmert: Dieser Mann, dieser Abu Jizchak Al Ilbiri, hatte einen Ruf als Verfasser böser Spottlieder und Reime, die in jeder Schenke der Stadt gesungen wurden. Und so entstand das, was man dir als ›dumme Lieder‹ beschrieben hat. Dumme Lieder? Es ist nur ein einziges Lied. Du hast den Trommelschlag gehört. Es fliegt durch ganz Granada, und es ist eine einzige Tirade des Hasses gegen den Wesir, unseren Nagid, den obersten Vertreter der Juden von Al Andalus.«
»Was wird da gesungen?«, frage ich, erfüllt von üblen Ahnungen. Das, was mir mein Onkel bisher dargestellt hat, hört sich an, als nähere sich jemandem ein bösartiges Geschick und kreise ihn ein von allen Seiten.
Eli Ibn Mosche erhebt sich, er geht zu seinem Schreibpult und zieht ein Blatt Papier heraus.
»Ich habe es ins Hebräische übersetzt«, sagt er. »Lies nur.« Ich beginne.
»Der Jude Joseph in der Bibel,
Der diente einst dem Pharao.
Sein Amt versah er gar nicht übel,
Und alle Welt war drüber froh.
Der Jude Joseph hierzulanden,
Der quält und plagt uns jeden Tag.
Er richtet Volk und Land zu Schanden,
Und rafft und scheffelt, was er mag.
Die Juden gehen in Samt und Seiden,
An ihrem Tisch ist keine Not.
Die armen Muslims
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