Valadas versinkende Gaerten
zunächst mit aller Aufmerksamkeit als Gast begrüßt, gehe ich ins Innere, wo mich mit ausgebreiteten Armen eine nicht mehr ganz junge Frau empfängt – offenbar meine angeheiratete Tante Nabila, eine rundliche Person mit einem leichten dunklen Schatten auf der Oberlippe und den schmachtenden Augen einer nordafrikanischen Schönheit, neben ihr zwei Töchter von vielleicht zehn und zwölf Jahren, also noch nicht ganz im heiratsfähigen Alter.
Küsse und Umarmungen, Segenswünsche und Grüße rundum.
»Woher wusstet ihr, dass ich komme? Ich dachte, dieser Besuch sei eine Überraschung?«, frage ich, ganz überwältigt von der liebevollen und zuvorkommenden Begrüßung.
Meine Tante lacht. »Eine Brieftaube des Emirs hat uns – ineinem kleinen Nebensatz unter wichtigen Staatsgeschäften – die Botschaft gebracht. Wir warteten schon seit gestern auf dich.«
(Dazu sage ich nichts. Die Verzögerung durch den Überfall!)
»Ich wäre heute etwas früher hier gewesen, aber ein närrischer Führer hat uns gezwungen, die Stadt ein halbes Mal zu umrunden«, sage ich, während Nabila ein leichtes Essen in Auftrag gibt, »er meinte, in Granada ginge ein ›dummes Lied‹ um. Aber ich denke, das war nur, um mehr Geld herauszuholen.«
Meine Tante sieht mich nicht an. »Er hat weise gehandelt«, sagt sie scheu. »Im Augenblick ist Granada kein besonders gutes Pflaster für uns Juden.«
Ich falle aus allen Wolken. Meine Hand, die ich gerade nach einem Stück Fladenbrot mit Walnüssen und Honig ausgestreckt habe, sinkt herab. Eine dunkle Ahnung erfasst mich.
Ehe ich etwas sage, muss ich mich sammeln. »Ich hatte erwartet«, erwidere ich, und mir gelingt ein Lächeln, »in Granada den Garten Eden für unser Volk vorzufinden. In zweiter Generation ist hier schließlich ein Jude nach dem Emir der mächtigste Mann im Staat, der Wesir Ibn Nagrella. Wie kann die Stadt da kein gutes Pflaster für uns sein?«
Schweigen. Dann sagt Nabila, nach einem beziehungsreichen Blick auf die zwei Kinder, gewollt munter: »Ach, lassen wir das. Erzähl du uns doch lieber vom berühmten Musenhof der Prinzessin bint Al Mustakfí. Wie wir wissen, gehörst du ihm an, und deine Verse sind schon in aller Munde.« (Sie ist freundlich, ich bezweifle, dass sie Verse von mir kennt.) Erzähl doch, wie es dort zugeht!«
Nein, das werde ich ganz gewiss nicht tun, jedenfalls nicht in einer Hinsicht . . . Aber natürlich war ich auf solche Fragen vorbereitet. Die beiden Mädchen hängen an meinen Lippen.
»Nun«, sage ich und versuche, einen Ton zu finden, indem man Kindern etwas erzählt, »das Haus der großen Valada hat gleichsam mehrere Türen, und durch jede gehen andere Leute ein und aus. Das Haus ist eine Schule, aber nicht so eine, in der man lesen und schreiben lernt. Das muss man bereits können, wenn man dorthin geht. Das Haus ist eine Dichterschule. Die einen lernen dort, einen Vers zu bauen, Reime zu schmieden, andere, welche Themen man besingen kann und soll. Wenn man dies erlernt hat, beginnt die eigentliche Kunst. Liebeslieder dichtet man dann oder Klagelieder, wenn man traurig ist, man singt das Lob des Herrschers, preist die Schönheit der Welt und macht auch hin und wieder freche Spottgedichte, über die alle lachen. Und wer das meisterlich beherrscht, darf mit der Prinzessin um die Wette dichten.«
»So wie du!«, ruft eins der Mädchen begeistert aus. Und die Zweite, die Ältere, fragt unter Erröten: »Und ist das Haus nicht auch ein Liebeshof?«
»Safia, gleich schicke ich dich fort zu deinen Dienerinnen!«, ruft die Mutter erschrocken aus, und das Kind hält sich die Hände vor den Mund.
»Daran ist nichts, was die guten Sitten verletzen würde, liebe Tante!«, sage ich beruhigend und hoffe, dass dies Verhör bald zu Ende geht und ich nicht weiter mit halben Wahrheiten jonglieren muss. »Dort lernt man die feinen Formen des Umgangs miteinander, welche Worte man bei einer Werbung spricht, wie sich eine Dame verhält, wenn ein edler Mann um ihre Gunst ersucht, und wie der Liebende sich höflich der Angebeteten nähert und um ihre Zuneigung bittet. Das sind die Spiele, wie sie auch in den Versen der Poeten dargestellt werden.«
Meine Tante ist sichtlich beruhigt, ich aber denke an die großen Feste der Liebe und des Verlangens, über die hier zu sprechen sich natürlich verbietet.
Schnell wechsele ich das Thema, komme zu meinen Fragen, denn weiterhin beschäftigen mich die merkwürdigenAndeutungen: ein dummes Lied; die
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