Valadas versinkende Gaerten
die Spieler um den Leib schlingen, als seien es Würgeschlangen. Die Musik kommt näher. Sie ist prunkvoll, festlich, aber auch bedrohlich. Und mir fällt ein: Sollte an diesem Tag, dem Versöhnungstag, nicht nur ein einziges Instrument bei uns Juden zu hören sein: Schofar, das Widderhorn, das zur inneren Einkehr und zum Frieden mit Gott und Menschen aufruft?
Ja, das schießt mir durch den Kopf. Aber dann starre ich mit erstaunten Augen auf den pompösen Zug, der sich nähert.
Hinter den Musikanten eine Leibgarde mit bewimpelten Lanzen. Sodann, überschattet vom Symbol der Macht, dem goldfarbenen Schirm, auf einem weißen Pferd der großmächtige Hadjib, der Wesir Joseph Ibn Nagrella. Sein brokatenes Ehrenkleid breitet sich über die Kruppe des Pferdes aus und schimmert von Edelsteinen. Und er führt an der Seite ein großes Krummschwert in metallisch glänzender Scheide.
Mir, die ich weiß, dass es die Diener Allahs in Al Andalus ihren Dhimmis, also ihren andersgläubigen Schutzbefohlenen, nicht gestatten, offen Waffen zu tragen oder gar auf Pferden zu reiten statt auf Maultieren – mir bebt das Herz. Vor Stolz auf das, was dieser Mann, ein Jude, für sich in Anspruch nehmen kann, und auch vor Furcht. Dies ist kein Staatsakt. Er ist auf dem Weg zu einem jüdischen Gottesdienst, nicht mehr. Warum muss er seinen Reichtum und seine Macht derart zur Schau stellen? Heißt das nicht, den Hass der anderen herausfordern?
Der Zug überquert die Brücke.
Nun reitet der Wesir ganz nah an mir vorüber. Er ist groß, stark gebaut. Ich kann sein Gesicht unter der seidenen Kopfbindesehen: schwammig, mit Tränensäcken unter den Augen, wie sie von langen Nachtwachen herrühren. Sein Mund ist üppig und sehr rot und erinnert mich an die Lippen des Mannes, der unterwegs zufällig zu meinem Retter wurde – an Ibn Zaydun.
Nach ihm kommen zu Fuß seine jüdischen Berater und Sekretäre, durchweg in schlichtem Schwarz. Zwar weiß ich nicht, wie weit es vom Alcazar bis hierher zum Realejo ist, aber die Männer machen einen erschöpften Eindruck und halten sich gegen den Straßenstaub Tücher vor Mund und Nase. Mein Onkel ist rot im Gesicht von der Anstrengung des Weges.
Zwei Dutzend muslimische Soldaten, das Krummschwert an der Seite, den runden Schild auf dem Rücken, schließen den Zug ab – die einem Wesir zustehende Eskorte.
Und hinterher, als würde eine bis dahin verdrängte Meereswelle an Land fluten, stürmt die Menge vor, zerlumptes Volk zumeist. Berber? Alteingesessene Araber? Christen?
Alles gleich. Die Handtrommeln. Das Lied. Schrille Stimmen. Ich vernehme den Text, den ich auf Hebräisch gelesen habe, nun auf Arabisch. Grell, bedrohlich.
»Eh man uns weiter so verhöhne: Lasst uns den fetten Hammel schlachten!«
Entsetzt hebe ich meine Hände, halte mir die Ohren zu.
Bevor sie heran sind, wenden wir unsere Tiere, reihen uns rasch ein hinter dem Nagid.
Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass die Soldaten der Nachhut sich auf der Brücke verschanzt haben und die Speere gegen die Herandrängenden richten. –
Vor der Synagoge ist ein großer Platz. Ein leerer Platz. Die Diener helfen uns von unseren Maultieren, und wir betreten das Bethaus; Nabila steigt mit mir gemeinsam auf die Frauenempore. Von hier oben haben wir einen Blick auf den kostbar verzierten Schrein mit den Thorarollen und die Bima, dasPodium, von dem aus gepredigt und aus der Heiligen Schrift vorgelesen wird. Aber ich habe wenig Lust, mir alles anzusehen. Der Vorsänger intoniert das erste Gebet. Nabila neben mir sitzt mit geschlossenen Augen, tief in Andacht versunken. (Die kleinen Mädchen sind wohl bei den Dienerinnen.)
Ich bekomme wenig mit von dem Gottesdienst. Immer lausche ich nach draußen, vermeine den dumpfen Rhythmus zu hören wie das Hämmern meines Bluts in den Schläfen.
Als der Chasan, der Vorbeter, endlich das Widderhorn bläst, ist mir, als würde ich von außerhalb der Mauern des Gotteshauses ein höhnisches Echo vernehmen. Was ist mit mir? Ich bin doch sonst nicht so schreckhaft . . .
Nach dem Amen werden die Türen geöffnet, und selbstverständlich schreitet der Nagid als Erster zum Ausgang. Und dann . . .
Das Realejo ist keine Insel. Es gibt noch andere Zugänge als die Brücke über den Darro, wo die Nachhut wahrscheinlich immer noch steht – schließlich hat es keinen Befehl gegeben, abzuziehen – und sich wundert, wohin die Meute sich zerstreut hat.
Während ich mich vordränge neben meinen Onkel,
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