Valadas versinkende Gaerten
unser Versöhnungstag. –
Der Nagid hat meinem Onkel einen Arzt geschickt und ein Ehrengewand für seine Treue und Tapferkeit.
Ob ihn das Ehrengewand sonderlich gefreut hat, weiß ich nicht. Der Arzt freilich war sehr vonnöten. Der Stein, der Eli Ibn Mosche am Kopf traf, hat ihm ein Auge ausgeschlagen.
Gegen Abend bittet mich Nabila, ihn aufzusuchen. Er wolle mit mir sprechen.
Inzwischen hat sich meine Hamda wieder eingefunden; in Panik war sie losgerannt, hatte sich in den Gassen Granadas verlaufen und war schließlich von einem Eselstreiber, der aus der Vega, dem fruchtbaren Umland, kam, Gemüse zur Residenz des Wesirs brachte und von nichts eine Ahnung hatte,mitgenommen worden. Sie weint fast ohne Unterbrechung; der Überfall auf dem Weg von Cordoba hierher war das eine, der Ansturm vor der Synagoge hat ihr vollends den Boden unter den Füßen fortgezogen. Sie will nach Haus; in die übersichtlichen Bedrängnisse von Cordoba, die sie kennt und in denen sie sich zurechtfindet.
Trotzdem hat sie mir geholfen, mich von Festkleidern und Schmuck zu befreien. Nun sitze ich am Lager meines Onkels. Sein Kopf ist dick verbunden. Das gesunde Auge sieht mich trübe an.
Ich greife nach seiner Hand, ziehe sie an die Lippen. Weiß zunächst nichts zu sagen.
»Kasmuna«, murmelt er. Seine Stimme klingt undeutlich, verzerrt. »Ich bitte dich um Verzeihung. Niemand konnte ahnen, dass es so – ausufern würde. Unser schönes, friedliches Granada muss dir wie eine Mördergrube vorkommen . . .«
»Sorge dich nicht um meine Meinung, was Granada betrifft«, sage ich und schlucke an meinen Tränen. »Der Friede, den Juden finden unter den Völkern, währt immer nur kurz.«
Er stöhnt. »Immerhin hat er hier mehr als zwei Generationen überdauert. Ich bitte dich, reise ab, so schnell du kannst. Dies Unheil ist nicht für dich bestimmt. Es ist unser eigenes.«
Ich schüttele den Kopf. »Das Unheil, das uns ereilt, ist überall gleich. Ob ich hier bin oder in Cordoba.« Ich sehe, dass seine Lippen zittern. »Du hast als ein Held gehandelt an deinem Fürsten«, sage ich. »Meinst du, er ist es wert, ihm ein Auge zu opfern? Er ist einfach davongeritten.«
»Er ist der Nagid«, entgegnet er dumpf. »Ich bin sein Diener. Was willst du? Hätte er sich steinigen lassen sollen?«
»Ich weiß es nicht. Manchmal ist ein Märtyrer mehr wert als hundert Helden, so steht es im Talmud. Was treibt der Minister jetzt?«
Mein Onkel seufzt. Ich sehe, wie ihm der Schweiß die Schläfen entlangrinnt. (Sicher hat er höllische Schmerzen, dieer zu verbergen versucht.) »So, wie ich ihn kenne, wird er annehmen, alles sei ausgestanden. Er hat gern Sprüche parat. Wenn das Wasser überkocht aus einem Topf, dann soll man es sprudeln lassen. Desto eher ist der Topf leer. Das ist seine Meinung. Er ist sehr . . . sorglos.«
»Das verstehe ich nicht. Hat er keine Angst? Die Truppen seiner Nachhut sind erbarmungslos vorgegangen gegen die Leute auf dem Platz. Er hätte es unterbinden können! Das muss den Hass doch verschärfen.«
»Um euch zu retten!«, sagt Eli heftig. Er dreht vorsichtig den Kopf, stöhnt. »Nichte, die Wirkung des Opiumtranks lässt nach. Bald werde ich so heftige Schmerzen haben, dass ich nicht mehr sprechen kann. Ich denke anders als der Nagid. Ich habe meiner Frau anbefohlen, mit den kleinen Mädchen und allen Frauen des Hauses in die Vega zu ziehen, aufs Land. Wir haben dort ein Sommerhaus. Sicher wird sie schon packen.«
»Wer wird dich versorgen?«, frage ich erschrocken.
»Die Helfer des Arztes und unsere christlichen Diener werden nach mir sehen«, erwidert er und winkt matt mit der Hand. Einen Moment schließt er das eine Auge, ringt nach Luft. Die Kraft scheint ihn zu verlassen. Dann strafft er sich erneut, schluckt krampfhaft.
»Du musst mit ihnen gehen«, sagt er. »Und ich habe eine Bitte an dich, denn du kennst dich aus, und Nabila gar nicht: Such an Büchern zusammen, was ein paar Maultiere tragen können. Nimm von unseren heiligen Schriften, aber vergiss auch nicht die Werke der Poesie und der Wissenschaft, so wie wir sie zu aller Erbauung und Freude zusammengetragen haben hier in meinem Hause. Und vergiss das Büchlein aus Bagdad nicht, das du mir geschenkt hast – ich werde wohl in der nächsten Zeit nicht mehr viel Lust am Lesen entwickeln.« Er stöhnt wieder, versucht ein Lächeln. Es misslingt.
»Onkel!«, sage ich erschrocken. »Meinst du, sie . . . meinst du, das war nicht das einzige Mal?
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