Valadas versinkende Gaerten
Augen nicht erreicht. »Wollen wir jetzt über die Stadtarmut disputieren?«
Da sie schweigt, fasst er – endlich!, findet sie – in die Tasche seines gestreiften Kaftans, in den ihn vorhin die Sklaven gekleidet haben, und holt die Kapsel heraus: hauchdünne Fischblase, umschlungen von feinen Seidenfäden als Verschluss.
Sie greift danach und beginnt ungeduldig, die Fäden abzureißen, nimmt ihre Zähne zu Hilfe, um an den Brief heranzukommen.
Er sieht ihr gelassen zu, beobachtet sie. (Natürlich kennt er den Inhalt längst. Er hat die Kapsel sofort öffnen und nach der Lektüre wieder verschließen lassen. Er müsste nicht der Hadjib eines Fürsten sein, wenn er so eine Botschaft durchgehen ließe, ohne von ihr Kenntnis zu nehmen.)
Valada liest mit gerunzelten Brauen, bewegt lautlos die Lippen. Dann lässt sie das Blatt sinken und sieht auf. Ihre Augen sind dunkle Hyazinthen.
»Ein Gedicht! Er schickt mir ein Gedicht, und das ist alles.«
»Darf ich wohl einen Blick darauf werfen?«, fragt er höflich. Sie streckt ihm wortlos das Blatt hin, und er liest das, was er schon kennt, noch einmal. Sorgfältig achtet er auch diesmal darauf, ob innerhalb der Verse vielleicht ein geheimer Sinn verborgen sein könnte, eine versteckte Botschaft. Aber die Reaktion der Lesenden sagt ihm eigentlich genug. Sie ist tief enttäuscht. Kein geheimer Sinn. »Es ist ein sehr schönes Gedicht!«, bemerkt er und gibt ihr das Blatt zurück.
Sie lässt das Blatt achtlos zu Boden fallen.
»Ich weiß seit langem, dass Ibn Zaydun schöne Gedichteschreiben kann!«, sagt sie wütend. »Der Hurensohn soll mich nicht anschmachten, er soll eine Arbeit für mich tun!«
»Eine Intrige beginnen!«, verbessert der Wesir sanft.
»Nenn es, wie du willst!«, sagt sie. »Und deswegen habe ich mir soeben die Geschichte der letzten Omayaden in der Fassung des Ibn Abdus Al Gahsiyari anhören müssen!«
»Vielleicht erwartest du zu früh Erfolge«, wirft er ein, immer friedlich. »Schließlich dürfte dein . . . Flüchtling gerade erst angekommen sein.«
Sie achtet nicht auf seine Worte, steht auf. »Erlauchter Hadjib, Allah möge dich mit seinen Wohltaten überschütten!« Sie verneigt sich wütend. »Dein Tag sei strahlend! Er sei weiß wie Milch! Gestatte, dass ich dich nun verlasse. Der Morgen war furchtbar für mich!«
Er springt ebenfalls auf. »Ich rufe die Diener, dass sie dich hinausgeleiten!«
»Ich finde den Weg.«
Ein Rauschen von weißer Seide. Sie ist fort.
Der Minister steht da und lauscht ihren Schritten nach. Er lächelt.
Sie zerspringt fast vor Ungeduld, denkt er. Und so wird sie auch bei der Stange bleiben. Denn er, Ibn Abdus, wird sich nicht bei einem solchen Projekt engagieren – mit aller gebotenen Vorsicht, versteht sich! –, wenn die Gefahr bestünde, dass die Galionsfigur des Unternehmens eines schönen Tages den Mut verliert . . . Nun, es ist zu hoffen, dass der Mistkerl da in Sevilla sie nicht weiter nur mit hübschen Worten abspeist. Er soll sich bald ein bisschen mehr anstrengen und seine Arbeit tun.
Er dehnt und streckt sich behaglich.
Wen auch immer der »Abgesandte« der Prinzessin entdecken sollte: Derjenige wird nur ein Schattenregent sein an der Seite einer Sayyida Al Kubra namens Valada. Deren Wesir
er
ist. Nicht etwa dieser triebgesteuerte Dichter. Der hat's verscherzt, wie er sich auch drehen und wenden wird.
Da auf der Erde liegt der Brief aus Sevilla. Das Gedicht.
Der Wesir bückt sich und hebt es eigenhändig auf. Ein Poem von Ibn Zaydun wirft man doch nicht einfach weg!
Er liest es ein drittes Mal.
»Das Grün der Bäume nach dem Frühlingsregen,
Der Duft der Blumen in der Morgenstunde,
Ein leuchtender Palast mit hohen Zinnen,
Umgeben von dem Glanz begrünter Gärten,
Das alles kann uns Freude abgewinnen,
Das alles kann uns bis ins Herz bewegen,
Doch immer bleibt bestehen jene Wunde,
Die Abschied schlägt. Von Liebesglut betroffen
Nährt langes Warten dennoch unser Hoffen.
Und kommt das Wiedersehn – wer soll beschreiben,
Welch Glück uns schenkt die namenlose Stunde . . .
Das Innigste muss unbesungen bleiben.«
Sehr schön. Dennoch: Da kann er lange lamentieren, der große Dichter. Besitzen werde
ich
diese Frau.
Der Blick, mit dem sie meinen nackten Körper betrachtete . . . nein, Abscheu war das nicht.
VALADA.
All diese Mannsbilder mit ihren Begehrlichkeiten mögen zur Hölle fahren!
Der eine schickt mir einen Schmachtfetzen von Gedicht, aber kein
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