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Valadas versinkende Gaerten

Valadas versinkende Gaerten

Titel: Valadas versinkende Gaerten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldtraut Lewin
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kommen die beiden kleinen Mädchen und schmiegen sich an meine Seite; wo die Mutter ist, weiß ich nicht, eben saß sie noch neben mir auf der Frauenbank.
    Ich will sehen.
    Der Platz vor der Synagoge ist nun voller Menschen. Keine Juden. Sie stehen stumm und dicht gedrängt, bärtige Männer, zerrissenes Schuhwerk, den Kaftan mit einem Strick gegürtet, die Binden um den Kopf fleckig. Frauen, die in ihr schmuddeliges Tuch eingehüllt sind wie Bienenstöcke im Winter. Kinder, barfüßig, halb nackt. Dazwischen einige, die Lederkoller und Helm mit Nasenschutz tragen. Wüstenmänner von einst, Berbersoldaten   – was tun sie hier? Sollten sie nicht eigentlich den Emir und dessen Palast bewachen?
    Mir ist, als könnte man sie atmen hören, alle im gleichen Rhythmus, ein und aus, ein riesiger Blasebalg.
    Von den Männern mit den Instrumenten ist nichts zu sehen. Wahrscheinlich haben sie Fersengeld gegeben, als der Platz sich zu füllen begann. Die wenigen Soldaten der Leibgarde haben sich schützend um das weiße Pferd des Ibn Nagrella geschart, als sei es eine Art Stellvertreter für seinen Herrn. Das Tier tänzelt auf der Stelle, schaut mit weit aufgerissenen Augen angstvoll in die Menge.
    Der Hadjib ist drei, vier Schritte aus dem Tor der Synagoge herausgetreten. Jetzt steht er zögernd auf den Stufen, versucht wohl, die Lage einzuschätzen; sein edelsteinbesetzter Mantel glänzt im Licht, als wolle er uns alle blenden.
    Durch die Menge im Inneren, die nach draußen drängt und nicht weiß, was vor sich geht, bahnt sich jetzt der Rabbi einen Weg. Von der Tür der Synagoge aus, wo auch ich stehe, schreit er, mit den Armen fuchtelnd: »Erhabener Herr, Nagid ha Negidim! Kommt zurück! Kommt in den Schutz des Bethauses!«
    Joseph Ibn Nagrella scheint ihn nicht zu hören. Der Wesir von Granada und das Oberhaupt der Judenheit von ganz Al Andalus rührt sich nicht vom Fleck. Dann   – immer noch ist es auf dem Platz so still wie am Tag nach der Sintflut   – wendet er den Kopf und winkt sein Reitpferd heran.
    Die Hufe klappern auf dem freien Raum vor den Stufen.
    Als gäbe es nichts Ungewöhnliches, lässt er sich von einem Soldaten den Steigbügel halten, schwingt sich in den Sattel; ein anderer drapiert den Mantel über den Pferderücken.
    Er reitet auf die Menge zu, lässt sein Pferd sich aufbäumen.
    Keiner weicht zurück.
    Das ist der Augenblick, in dem mein Onkel vorstürzt, vorbei an uns (die Mädchen schmiegen sich zitternd an mich, als sei ich ihre Mutter), mit ihm zusammen die anderen Männer, die zu seinem Gefolge gehören, Sekretäre, Schreiber,Räte   – alle versehen mit den heiligen Zeichen ihres Judentums, mit Tallith und Tefillin über dem Schwarz ihrer Kleidung.
    Eli Ibn Mosche schreit mit lauter Stimme: »Platz! Platz für den großmächtigen Hadjib des Emirs, Platz für unseren Nagid, den Fürsten Israels! Achtet die Würde des vor aller Welt Erhöhten!«
    Er und die anderen gehen auf die Menge zu, und tatsächlich öffnet sich eine Gasse, in die der Wesir seinen Schimmel treibt. Doch die Gasse ist zu schmal, und brutal teilt er mit der Peitsche nach rechts und links aus. Die Menschen können nicht weit genug zurückweichen, und ohne sich nach den Seinen umzuwenden, prescht er über Stürzende und Stolpernde rücksichtslos davon, in Richtung seines Palastes.
    Die Stille explodiert in einem einzigen Wutgeheul. Der Platz rast und tobt. Die ersten Steine fliegen auf die Synagoge. Vereinzelt zunächst, dann hageldicht. Ich sehe, wie mein Onkel versucht, den Weg zurückzugewinnen, wie er stürzt, will zu ihm, werde von irgendjemandem gepackt und zusammen mit den jammernden Mädchen zurück in das Bethaus gezogen. Hinter uns schlagen die Torflügel zu.
    Der Lärm ist unbeschreiblich. Männer und Weiber schreien aufeinander ein, einige wollen hinaus, den Bedrängten zu helfen, andere halten sie davon ab.
    Dem Herrn sei Dank, da ist Nabila wieder! Ich weiß nicht, wo sie war, aber offenbar hat sie die Synagoge nicht verlassen. Nun starrt sie mich an mit irren Augen, als hätte ich ihr die Kinder entführt, die sich nun wieder an ihre Mantelschöße klammern, und fragt mit schriller Stimme: »Wo ist mein Mann? Wo ist Eli?«
    Ich deute nach draußen, und so wie andere stürzt sie auf die geschlossene Tür zu, verlangt, dass sie hinausgelassen werde.
    Die Synagogendiener, der Vorbeter und der Rabbi stehenmit ausgebreiteten Armen davor wie die Erzengel vor der Paradiesespforte, nur, dass hinter dieser Tür das

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