Valadas versinkende Gaerten
Dass sie bald . . .?«
Er antwortet nicht direkt. »Je eher ihr aufbrecht, desto besser ist es«, sagt er. »Ich habe nicht mehr alles verfolgen können, nachdem mir . . . nachdem ich getroffen wurde. Hat der Emir auf den Vorfall hin seine Haustruppen zum Schutz der Residenz seines Ministers ausgesendet? Hat er etwas unternommen, den Realejo zu sichern vor Plünderungen oder Ausschreitungen?«
»Ich weiß es nicht!«, sage ich beklommen. (Wieder huscht das Phantom des laufenden Jungen mit dem halben Kopf durch mich hindurch.) »Ich . . . war mit mir selbst beschäftigt.«
»Das solltest du in der nächsten Zeit überwinden!«, sagt Eli eindringlich. »Sei wachsam. Und hab Acht auf die Meinen. Ich vertraue dir. Steh meiner Dienerschaft und den anderen Hausgenossen bei, du, Dichterin am Hofe einer Fürstentochter und Frau, die sich nicht beschränken muss.
Und nun«, fügt er mit versagender Stimme hinzu, »ruf mir die Helfer des Arztes. Es tut not.« –
Ich finde die aufgescheuchte Familie eifrig beim Packen. In der Morgenfrühe soll aufgebrochen werden. Nabila kommt aus den Tränen nicht heraus. Sie möchte bei ihrem Mann bleiben, aber Eli hat ihr streng befohlen, mit den Mädchen abzureisen. Sie ist eine gehorsame Ehefrau. Sie wird tun, was er ihr aufträgt.
Meiner Hamda gebe ich entsprechende Anweisungen, mitzuhelfen.
Dann begebe ich mich in die Bibliothek und beginne, beim Schein der Öllampen und dem Rieseln der Sanduhr die Bücher herauszusuchen und auf einen Stapel zu schichten, wie es mein Onkel wünscht. Zuerst geht mir der Bibliothekar zur Hand, zeigt mir, in welcher Ordnung die Schriften stehen. Dann, als ich den Überblick habe, schicke ich ihn fort. Ich will allein sein an diesem Platz, der mir in diesem Augenblick ein wenig von der Fassung zurückgibt, die ich so nötig brauche.
Hier endlich ist Frieden, hier, zwischen den in Leder oderSeide gebundenen Folianten, den alten Schriftrollen und den liebevoll in Kästchen aus Zedernholz verwahrten losen Blättern (besonders kostbar) einer alten Handschrift, kann ich zu mir selbst kommen.
Das Volk des Buches, so hat man uns Juden genannt, und mir ist, als sei ich hier unter meinen eigentlichen Verwandten angekommen.
Die Bibliothek Eli Ibn Mosches ist groß. Es fällt mir schwer, eine Auswahl zu treffen. Manchmal blättere ich in einem Manuskript, erfreue mich an einer kunstvoll ausgeführten Initiale – und »lese mich fest«, ertappe mich dabei, wie ich mitten im Raum stehe, das aufgeschlagene Buch in der Hand.
Die Zeit vergeht.
Als ich denke, endlich mit gutem Gewissen das Wichtigste zusammengestellt zu haben, musste ich die große Sanduhr schon längst einmal umdrehen. Es muss weit nach Mitternacht sein.
Ich sinke in einen Stuhl vor einem Schreibpult; im Licht der Kerze treten verlockend Schreibrohr und Tintenfass vor mir aus dem Dunkel, die Blätter liegen bereit. Schon strecke ich nach alter Gewohnheit die Hand aus – und lasse sie wieder sinken.
Was soll ich schreiben? Was, Valada, zu Papier bringen, das dich erfreuen oder erstaunen könnte? Keine Themen für uns.
Mir stehen keine Worte zur Verfügung für das, was mir heute geschehen ist. Es gibt sie nicht im poetischen Universum um die Prinzessin, und es gibt sie darüber hinaus nicht bei allen Dichtern von Al Andalus.
Wir können loben, lieben, scherzen, in Tränen und Wollust schwelgen, in Dunkelheit und Licht baden, mit leichter Hand kunstvolle Bilder entwerfen und Reime formen. Unser Kreis ist leicht abzuschreiten.
Und das andere, das Grauenvolle?
Ich verfüge über keine Sprache, die das auszudrücken vermag.Und frage mich mit einem tiefen Erschrecken: Verfüge ich überhaupt noch über eine Sprache? Für das, was ich heute erlebt habe, versagt unsere Stimme. Man fällt ins Bodenlose.
Aber hier, hier kann mir nichts geschehen. Hier bin ich geborgen. Nichts dringt zu mir herein. Hier ist Frieden.
Hamda kommt.
Zeit, noch einen Augenblick zu schlafen.
12
IN DEN STRASSEN GRANADAS.
In der Morgendämmerung versammeln sie sich. Man braucht keine Fackeln mehr. Man sieht weiter als einen Steinwurf. Das genügt.
Kein Trommelschlag, kein Gesang. Zunächst nur der gleichmäßige Schritt von Stiefeln. Seit sie übers Meer gekommen sind, haben sie sich die weichen Schuhe aus Saffian abgewöhnt und tragen Stiefel. Mit Stiefeln kann man viel festere Tritte versetzen. Der gefährliche Rhythmus dieser Stiefel lockt die anderen hervor. Arme wie sie, das Volk der Stadt. Es kommt
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