Valadas versinkende Gaerten
Strenggläubigen in Cordoba unser Viertel oder unser Haus bestürmen.
Ich fahre hoch und lausche. Es kommt von draußen, genauer vom Palast des Nagid da hinten. Ja, es klingt so, und doch anders. Schrille, hohe Jauchzer mischen sich darunter, Schreie der Freude; mir ist, als hörte ich jenen Glückstriller der Araberinnen, mit dem ich begrüßt wurde bei meiner Ankunft hier in Granada. Doch er hat eine andere Färbung diesmal, ein Vibrato des Triumphes.
Im Haus meines Onkels erregte Stimmen, Schritte, Getümmel.
Niemand scheint an mich zu denken. Wo ist Hamda?
Ich springe aus dem Bett und greife mir das erstbeste Kleidungsstück, das ich finde. Es ist Hamdas dunkler Umhang.
Ich öffne die Tür meines Zimmers – und gleichzeitig fliegt die Eingangstür des Hauses auf. In den Patio ergießt sich ein Schwall von Menschen. Sie schwingen Gegenstände in den Händen und rufen irgendetwas, das ich nicht verstehe. Ich werde gegen die Wand gedrückt. Sie rennen an mir vorbei, alswäre ich nicht vorhanden. Zu den Zimmern von Nabila und den Kindern.
Wir wollten heute in aller Frühe aufbrechen . . .
Es hört sich an wie ein Jaulen, ein hoher, winselnder Gesang, dann dumpfe Schläge, noch ein Aufheulen. Stille.
Hamda taumelt an mir vorbei, ich weiß nicht, woher sie kommt. Sie hält die Hände an ihren Kopf. Zwischen ihren Fingern quillt Blut hervor. Auch sie sieht mich nicht. Sie gibt ein Geräusch von sich wie die Röhren eines Brunnens, wenn das Wasser wegbleibt und nur noch Luft aufsteigt.
Von ihren Haaren sind einzig ein paar dünne graue Strähnen übrig, der ganze Kopf ist eine einzige Wunde. Und ihre Ohren? Wo sind ihre Ohren? Was hat man gegen die Ohren einer alten Frau?
Sie läuft aus dem Haus, ziellos, besinnungslos vor Schmerz. Ich will ihr folgen, aber auf der Schwelle bleibe ich stehen, denn da kommt etwas aus der Richtung des Palastes. Eine Prozession.
Den Beginn bildet ein Karren, der von Männern gezogen wird. Auf dem Karren steht ein Kreuz. Ein Kreuz, wie es die Christen anbeten, ein solides Kreuz, gefertigt aus zwei Baumstämmen. Ich weiß, auch muslimische Herrscher richten ihre Gegner manchmal auf diese Weise hin. Und an dem Kreuz hängt jemand.
Der Hadjib Joseph Ibn Nagrella, Vertrauter seines Fürsten, Nagid der Judenheit von Al Andalus, berühmter Sohn eines berühmten Vaters, wurde ans Kreuz geschlagen mit großen Nägeln, die aus seinen verkrümmten Händen hervorragen wie Dornen.
Er ist nackt. Sein Körper ist übersät von Wunden und blauschwarzen Flecken. In seine Brust hat man einen großen Davidsstern geritzt, das frische Blut tropft noch immer über seinen Bauch und vereint sich dort mit dem Blutstrom zwischen seinen Beinen. Sie haben ihm das Geschlechtsteil abgeschnitten.
Die johlende, jubelnde Menge begleitet den Karren mit dem Gekreuzigten, umtanzt ihn, folgt ihm hinunter zur Stadt.
Brandgeruch und Schreie. Sie haben offenbar die Quartiere der Soldaten und der Dienerschaft angezündet. Wollen sie bei lebendigem Leibe rösten, brüllen: »Verbrennt die Judenknechte!«
Wieso stehe ich auf dieser Schwelle, unversehrt, als sei ich nicht vorhanden?
Auf mich zu kommt in grotesken Sprüngen der Pfau, den ich gestern auf der Wiese habe sein Rad schlagen sehen. Er gibt schreckliche Töne von sich, dreht und wendet sich, Rettung suchend vor dem nicht nachlassenden Schmerz. Sie haben ihm die wundervollen Schwanzfedern ausgerissen.
Ich fliehe zurück ins Haus. Gerade tragen sie an mir jene Bücher vorbei, die ich gestern Abend zusammengestellt habe als unsere nötigste geistige Nahrung, wenn wir fort sind aus Granada. Sicher wollen sie das nächste Feuer damit entfachen. Einer rempelt mich an, sagt ärgerlich »Pass doch auf!«, als sei ich ein Teil dieser Mördertruppe. Zwei, drei Bände rutschen ihm aus dem Packen, den er auf dem Arm hält. Ich bücke mich. Das Büchlein aus Bagdad ist dabei, das mir mein Vater gegeben hat. Ich lasse es wieder fallen. Möge es brennen. Wer mag nach diesem hier noch Bücher lesen?
Auf den Gängen und den Treppen des Hauses liegen Tote. Vielleicht auch Verletzte. Sklaven des Hauses. Einer sagt: »Hilf mir!« Aber ich weiß nicht, wie ich jemandem helfen sollte.
Ich gehe an ihnen vorbei zum Krankenzimmer meines Onkels. Ich bin ganz ruhig. Nur kalt ist mir. Furchtbar kalt.
Wie viel Blut in einem Menschen sein kann! Eli Ibn Mosche schwimmt in seinem Blut. Auch die schönen Mosaiken des Fußbodens sind kaum mehr kenntlich. Sie haben ihm den Bauch
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