Valentina 3 - Geheimnisvolle Verführung: Roman (German Edition)
England verlässt. Ein Land, in das sie nie wieder zurückkehren will, jetzt, wo sie alle Hoffnung für sich und Phil verloren hat.
Das Café ist leer bis auf eine andere Frau, die in der Ecke sitzt und Zeitung liest. Tina bemerkt unwillkürlich, wie auffallend das Mädchen ist. Sie verbringt ihr berufliches Leben damit, Fotos von schönen Frauen zu machen, und dieses Mädchen könnte niemals ein Model sein, und doch hat sie etwas an sich, das sehr anziehend ist. Sie ist etwas üppig, mit rosigen Wangen und glänzendem rotem Haar, das ihr wallend über die Schultern fällt. Je länger sie sie betrachtet, desto mehr erinnert sie sie an die Frau, die sie gestern Abend bei Phil gesehen hat. Ihre vollen hübsch geformten Lippen sind wie bei einem Da-Vinci-Engel, und sie hat absolut außergewöhnliche Augen. Denn als sie aufblickt und Tina ansieht, bemerkt sie, dass eines ihrer Augen braun und das andere blau ist, genau wie bei einer Katze, die sie als Kind einmal hatte. Der Blick, mit dem die junge Frau sie ansieht, verunsichert sie. Als würde sie sie mit den Augen ausziehen. Tina trinkt ihren Tee aus und schlendert hinaus auf den Vorplatz.
Auf dem Weg zum U-Bahn-Eingang blickt sie hoch zu der Abfahrtstafel. Sie sieht, dass der Orient-Express, der die ganze Strecke bis nach Venedig fährt, in nur fünf Minuten geht. Wie gern wäre sie jetzt in Venedig. Es hat sich stets mehr wie ein Zuhause angefühlt als Mailand, was logisch ist, da sowohl ihre Mutter als auch ihre Großmutter aus Venedig sind. Ein verrückter Gedanke ergreift von ihr Besitz. Und bevor sie sichs versieht, hat sie ihr ganzes Honorar von dem Shooting für eine Fahrkarte für den Orient-Express verschleudert, und jetzt sitzt sie in einem der historischen Waggons aus den Zwanzigerjahren, ein kostenloses Glas Champagner zur Begrüßung vor sich, und sieht aus dem Fenster, während der Zug aus dem Bahnhof King’s Cross ausfährt. Was in aller Welt tut sie da eigentlich? Sie muss heute zurück nach Mailand, zu Valentina. Sie kann ihre Tochter nicht im Stich lassen. Aber sie war sich ohnehin nicht sicher gewesen, wie lange der Auftrag dauern würde, als sie Italien verließ, und sie hatte Natalia, ihrem neuen Au-pair-Mädchen, gesagt, sie könnte womöglich bis zum Wochenende fort sein. Tina entscheidet, dass sie dieses kleine Zwischenspiel in ihrem Leben braucht. Sie wird erfrischt und voller positiver Energie zurückkommen. Sie wird Phil und seine neue Frau aus ihren Gedanken verdrängen. Das wird für ihre Tochter mit Sicherheit besser sein als so, wie sie sich im Moment fühlt, traurig und einsam.
Venedig. Die Vorstellung, morgen ihre Stadt der Träume zu erreichen, hebt ihre Stimmung schon jetzt. Bis dahin kann sie das Erlebnis genießen, im Orient-Express zu reisen. Ihr Abteil ist edel, ganz in dunklem Holz und antikem Dekor gehalten, mit einem kleinen Tisch und einer richtigen Tischlampe. Und was für ein Glück! In ihrem Koffer hat sie sogar ein paar der alten Kleider ihrer Großmutter aus den Zwanzigerjahren mitgebracht, für ihre Ausgehpläne mit Isabella und ihrem Liebhaber in London. Sie wird sich herausputzen und den Abend in vollen Zügen genießen.
Fast alle anderen Reisenden im Zug tragen Abendgarderobe aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Als sie in einem von Belles seidenen Abendkleidern den Korridor hinuntergeht, das Haar so frisiert wie einst ihre Großmutter, mit einer weißen Straußenfeder, die sich um ihren schwarzen Louise-Brooks-Bob ringelt, fühlt sich Tina ganz wie ein Glamourgirl. Es spielt keine Rolle, dass sie einundvierzig Jahre alt ist. Sie fühlt sich schlank und sinnlich, von Kopf bis Fuß, wie eine junge Sirene. Allmählich beginnt der Albtraum des gestrigen Abends zu verblassen.
Sie lässt sich auf einem Platz an einem freien Tisch nieder, während sie sich fragt, wer wohl beschließen könnte, sich zu ihr zu gesellen. Ein Kellner nimmt ihre Getränkebestellung entgegen: Champagner, was sonst?
Sie stößt im Stillen auf ihre Großmutter Belle an und nimmt einen kleinen Schluck. Der Champagner ist eiskalt und betörend spritzig. Das Zugrestaurant beginnt sich zu füllen, und dann entdeckt sie sie – die Rothaarige aus dem Bahnhofs-Café. Sie sieht Tina geradewegs an, mit ihren seltsamen braun-blauen Augen. Sie wundert sich nicht, als die Frau genau auf ihren Tisch zusteuert. Sie trägt ein saphirblaues Seidenkleid, und Diamanten baumeln an ihren Ohren.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?« Sie spricht mit einem
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