Valentina 3 - Geheimnisvolle Verführung: Roman (German Edition)
würde ihre Mutter vielleicht verstehen, was Thomas ihr bedeutet hatte. Aber jetzt ist nicht der richtige Augenblick dafür. Ihre Mutter ist endlich bereit, ihr die Wahrheit über ihren Vater zu sagen. Sie muss es sich bis zum Schluss anhören.
»Er wollte fliehen«, erzählt ihre Mutter. »Er stand kurz vor einer internationalen Tournee, alles schon von der Partei genehmigt. Das erste Konzert sollte in Wien stattfinden. Ich hatte versprochen, dorthin zu fahren und ihm zu helfen, sich abzusetzen. Aber dann zog der Kulturminister seine Reiseerlaubnis auf einmal zurück. Es hieß, ein Musikstück, das er komponiert hatte, sei antisozialistisch und schwärmerisch, aber Karel vermutete, dass irgendjemand von seinem Plan Wind bekommen hatte … dass ihn irgendjemand verraten hatte …«
Die Stimme ihrer Mutter schwankt. Sie hält einen Moment inne und nimmt einen Schluck von ihrem Wein. Valentina betrachtet sie voller Neugier. Sie hat ihre Mutter noch nie so emotional gesehen.
»Ich habe erst herausgefunden, dass ich schwanger war, nachdem seine Tournee abgesagt wurde …«
»Hast du ihn je wiedergesehen?«, fragt Valentina, während sie sich vorbeugt.
Ihre Mutter nickt.
»Ein einziges Mal. Ich fand, er sollte wissen, dass ich ein Kind von ihm erwartete. Ich war ungefähr im vierten Monat schwanger, als ich noch einmal hinfuhr, um ihn in seiner Wohnung in Ostberlin zu besuchen. Zu dieser Zeit wurde er überwacht, aber das war mir egal. Ich sagte ihm, dass ich ein Kind von ihm erwartete. Das hätte ich nicht tun sollen … es war dumm von mir …«
Die Stimme ihrer Mutter verliert sich. Sie nimmt die Flasche Wein und schenkt sich mit zitternder Hand noch einmal nach.
»Valentina, ich gebe zu, der Grund, weshalb ich dir diese Geschichte nie erzählt habe, ist, dass es mir sehr schwerfällt, darüber zu reden. Ich habe alles versucht, um es zu vergessen. Meine Affäre mit Karel endete in einer Tragödie, und nicht nur das, durch sie habe ich Phil verloren. Den einzigen Mann in meinem Leben, der mich bedingungslos geliebt hat, und doch habe ich ihn wegen Karel verstoßen. Es war eine einzige Tragödie.«
»Aber die Berliner Mauer ist 1989 gefallen«, sagt Valentina. »Hast du nie wieder von Karel gehört, oder hast du ihn gar nicht gesucht?«
»Natürlich habe ich ihn gesucht. Als ich ihn das letzte Mal sah, versprach ich ihm, dich nach Berlin mitzunehmen, sobald die Mauer fallen würde, damit er dich kennenlernt. Er hat nie wirklich geglaubt, dass es dazu kommen würde, aber ich hegte immer die Hoffnung. Und dann, auf einmal, ist es passiert.« Ihre Mutter hält einen Moment inne, stochert mit ihrer Gabel zwischen den Salatblättern auf ihrem Teller. »Erinnerst du dich denn nicht?« Sie sieht zu Valentina hoch. »Du musst ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein. Ich hatte dich mit nach Berlin genommen.«
Valentina legt die Stirn in Falten. Phil hat ihr erzählt, ihre Mutter habe sie nach Berlin mitgenommen, und sie habe gewollt, dass er auch mitkam. Aber Valentina kann sich wirklich nicht erinnern, wo genau sie mit ihrer Mutter gewesen war, nur an einem Ort, der nicht ihr Zuhause war, und sehr kalt.
»Hast du ihn gefunden?«, fragt sie.
War es möglich, dass Tina Karel gefunden und er ihnen beiden den Rücken gekehrt hatte? Dass er seine fünfjährige Tochter nicht kennenlernen wollte? Der Gedanke kränkt sie, sie versucht, ihn zu verbannen, aber sie fühlt sich um dieses kleinen Mädchens willen so verletzt.
Ihre Mutter sieht mit schmerzerfüllten Augen vom Tisch hoch.
»Ja, Valentina, in gewisser Weise habe ich ihn gefunden.«
Die Art, wie ihre Mutter diese Worte sagt, jagt ihr einen Schauder über den Rücken.
»Was meinst du damit?«
»Erinnerst du dich nicht mehr an meine Freundin Lottie, und wohin sie an jenem Tag mit uns gefahren ist?«
Valentina schüttelt den Kopf.
»Sie ist mit uns zu einem Friedhof gefahren … zum Grabstein deines Vaters. Ich habe herausgefunden, dass er tot war, mein Schatz. Und sein Tod war meine Schuld. Verstehst du jetzt, warum ich es dir nie erzählen wollte?«
Valentina starrt ihre Mutter entsetzt an, denn Tina Rosselli weint. Sie hat ihre Mutter noch nie weinen sehen. Der Anblick erfüllt sie mit Panik. Sie weiß nicht, was sie fühlen soll: Wut über die Erkenntnis, dass ihr Vater letztendlich ohnehin tot ist und sie ihn nie kennenlernen wird? Oder Mitleid mit ihrer Mutter, die sich die Schuld daran gibt?
Valentina sitzt wie gelähmt auf der anderen Seite des Tischs.
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