Valentine
ihm unbekannt war.
»Warten Sie! Wer sind Sie?«
Valentine lief weiter, ohne ihn zu beachten. Maurice folgte ihr und fand sich auf einmal im Dom wieder. Na prima. Fehlt nur noch, dass wir Alarm auslösen , und morgen prangt auf der Titelseite der Tageszeitungen die Headline »Sohn eines Kriminalkommissars in Kölner Dom eingebrochen.« Sein Vater würde ihn dafür erwürgen.
Aber nichts geschah. Valentines Stiefelabsätze hallten wider , als sie mit weit ausholenden Schritten den Mittelgang im Dom entlangeilte. Maurice schaffte es dennoch, sie einzuholen und auf gleicher Höhe mit ihr zu bleiben . Er sah sie von der Seite an. Was für ein edles Profil, wie ein Kunstwerk, und dazu dieser unnahbare Gesichtsausdruck. Eine Frau, die man erst noch erobern musste. Sein Herz schlug Trommelwirbel i n seinem Brustkorb.
»Wie wäre es, in der Nähe gibt’s eine nette kleine Bar.« Falls er sich richtig erinnerte. Aber irgendwie musste er sie ja aufhalten.
Sie blieb stehen und schaute ihn an. »Wozu?«
»Na, zum Beispiel , um darüber zu reden, was eine Frau nachts allein …«
Ihr durchdringender Blick ließ ihn verstummen. Er verspürte das drängende Gefühl , vor ihr auf die Knie zu gehen und sie anzubeten. Als sie den Blick abwandte und weiterging, wich sein Gefühl, wie gelähmt zu sein, und er stieß vorsichtig d en Atem aus. Verdammt noch mal, was war nur mit ihm los? War sie Medea?
»Wir beide gehen jetzt hier raus , und dann sehen wir uns nie wieder«, sagte sie mit beängstigender Bestimmtheit und steuerte auf einen Seiteneingang zu. Sie öffnete die Tür, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, nachts im Dom ein und aus zu gehen. Maurice, der ihr staunend zugesehen hatte, schaffte es gerade noch hindurchzuschlüpfen, ehe die Tür hinter ihm schwer ins Schloss fiel. Vielleicht war sie einfach nur eine geniale Einbrecherin und hatte vorgehabt, den Dom auszurauben? Nein, dort unten, wo er sie getroffen hatte, gab es nichts zu stehlen.
»Bitte«, wiederholte er, »bitte. Was muss ich tun, um Sie wiederzusehen?« In seinem ganzen Leben hatte er noch nie so viel Angst vor einer Antwort gehabt. Er war dabei, sich durch und durch lächerlich zu machen, dennoch konnte er nicht anders.
Sie lief weiter, auf die gegenüberliegende Häuserfront zu.
Verflixt, musste er um ein Rendezvous betteln? »Bitte!«
In Maurice fochten Verstand und Testosteron einen harten Kampf gegeneinander aus, wie er weiter vorgehen sollte, um sein Ziel zu erreichen. Lass sie gehen, wenn sie nicht will! Nein, ich werde wahnsinnig, wenn ich sie nicht wiedersehe. Pack sie einfach und küss sie! Nein, lass, darauf steht sie nicht, sie ist nicht der Typ Frau dafür und dann siehst du sie erst recht nie wieder …
Diesmal blieb sie stehen und wandte sich ihm zu. just in diesem Moment riss die Wolkendecke auf , und das Mondlicht gab ihrem Gesicht die Sanftheit zurück, die er darin in den ersten Minuten ihrer Begegnung ge sehen hatte. Und es war mehr als das, etwas anderes, was Maurice nicht benennen konnte.
» Nenn en Sie mir einen einzigen stichhaltigen Grund, warum ich Sie wiedersehen sollte«, sagt e sie leise.
»Ich … Sie …«, er verhielt sich wie ein Vollidiot. Im selben Moment fiel ihm die passende Antwort ein , und er legte so viel Inbrunst in seine Worte, dass es fast theatralisch klang. »Es kann kein Zufall sein, dass wir uns ausgerechnet an diesem Ort begegnet sind.«
»Vielleicht.« Valentines Miene zeigte kurz ein Erstaunen. »Glauben Sie an Vorsehung?«
»Unbedingt«, log er dreist. Was war nur in ihn gefahren?
»Also gut. Morgen Nacht um e ins. Aber nur weil Sie mir vorhin geholfen haben. «
Ihr Blick duldete keinen Widerspruch und keine Gegenvorschläge.
»Wir treffen uns hier. Und jetzt drehen Sie sich um. Ich will nicht, dass Sie sehen, wohin ich gehe.«
Sein Mund war vor Aufregung zu trocken, um zu antworten. Am liebsten hätte er sie festgehalten und diese wunderschönen roten Lippen geküsst, aber irgendetwas war in ihren Augen, was ihn davon abhielt. Er nickte stumm und gehorchte, mit Blick auf ein Schaufenster. Im Spiegelbild der Scheibe sah er, wie sie noch einige Sekunden verharrte, dann war sie plötzlich fort, ohne sich bewegt zu haben.
Maurice wirbelte herum und schaute in alle Richtungen, aber da war niemand mehr . Sein Herz trommelte mit kurzen Aussetzern und erschwerte ihm das Atmen. Im selben Moment erbebte der Boden unter seinen Füßen, die Scheibe hinter ihm zersprang mit einem lauten
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