Valentine
Moment klopfte es.
»Herein«, rief sie wenig begeistert über die Störung.
Frédéric trat ein. Er sah müde und verzweifelt aus. Dunkle Ringe unter den Augen und eine Stirnfalte, die sie bei ihm noch nie bemerkt hatte, zeugten von seinem Kummer.
»Wann bist du zurückgekommen?«
Frédéric trat näher und strich fahrig über seine Haare. »Gerade eben.«
»Mach keine Witze«, erwiderte Valentine.
»Wieso? Die Sonne ist vor zehn Minuten untergegangen.« Er musterte sie prüfend.
So weit war es schon gekommen, dass ihr Zeitgefühl versagte.
»Was ist mit dir los? Du bist schon die ganze Zeit so merkwürdig.«
Valentine winkte ab. »Nicht wichtig. Erzähl mir lieber, was du gemacht hast. Hast du Aliénor gefunden?«
Frédéric sank in einen Sessel und schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Danke für deine SMS, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Nachricht am Spiegel von ihr selbst geschrieben wurde.«
Wenn nicht sie, dann konnte es nur der Geist eines Verstorbenen gewesen sein. Diese Möglichkeit zog Valentine eigentlich nicht in Betracht.
»Und wo warst du den ganzen Tag?«
Er zuckte mit den Schultern und blieb ihr die Antwort schuldig. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich tun soll. Wie konnte Aliénor nur so unvernünftig sein und dieses Risiko auf sich nehmen ? « Er seufzte. »Wir kennen keinen einzigen Fall, wo jemand aus den Spiegeln heimgekehrt ist. Ich ertrage den Gedanken nicht, sie vielleicht nie wiederzusehen.« Seine Hände verkrampften sich in den Armlehnen des Sessels.
Sein trauriger Gesichtsausdruck rührte Valentines Herz. Für den Schmerz, der in seinem Inneren tobte, wirkte er relativ gefasst. Sie war sich sicher, dass dieser äußere Anschein trog. Die kleine Elfe war die Liebe seines Lebens , und wenn ihr etwas zustieße …
»Aliénor ist eine starke Persönlichkeit. Wenn jemand es schaffen kann, dann sie«, erwiderte Valentine und hoffte, dass sie nicht nur überzeugend klang, sondern auch R echt behalten würde. »Sie kommt zurück!«
»Ich hoffe, du hast R echt. Ich wüsste nicht, was ich sonst mache n sollte .« Er starrte vor sich hin.
Valentine sprach ihn nicht an. Ihr fehlte jegliche Idee, ihn aufzumuntern, glaubte sie doch selbst nicht an einen guten Ausgang. Sie waren zwei Pechvögel in Sachen Liebe und Beziehung. Wahrscheinlich hatte das Schicksal anderes für sie vorgesehen. Oder sie büßten für Vergehen, dere n sie sich nicht bewusst waren.
»Grübeln bringt uns nicht weiter«, befand Frédéric mit bitterem Unterton. »Erzähl mir endlich, was dich zurzeit beschäftigt.«
Schade, sie hatte gehofft, er würde die Sache auf sich beruhen lassen.
»Du bist seit Tagen völlig verändert. Und behaupte nicht, dass ich mir das einbilde.«
Sie kannten sich einfach zu gut, um sich etwas vorzumachen. »Nun …«
Auf einmal schien es Valentine ganz einfach und sehr befreiend, über alles zu reden. Frédéric hörte ihr aufmerksam zu. Überraschung spiegelte sich auf seinem Gesicht wider, als sie von ihrer ersten Begegnung und den nachfolgenden Treffen mit Maurice erzählte – ohne zu sehr ins Detail zu gehen.
»Wow«, ein Lächeln spielte um seine Lippen. »Du hast dich verliebt. Das ist toll. Und er heißt Maurice?«
Valentine nickte. Zu gerne hätte sie gesagt, dass sie nicht verliebt wäre, aber das hätte Frédéric ihr nicht abgenommen.
»Und wie weiter? Wie ist sein Nachname?«
»Ähm, Devereux , warum?«
»Nur so«, winkte er ab. »Der Vollständigkeit halber. Erzähl weiter.«
Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. Seine Miene war mit einem Mal sehr nachdenklich geworden. Bestimmt dachte er gerade an Aliénor.
Wenn sie schon dabei war, ihm von Maurice zu erzählen, warum nicht die ganze Wahrheit. Als sie von der Begegnung mit den Vampirjägern sprach und wie sie entkommen war, ballte er die Rechte zur Faust.
»Verdammt. Ich habe es dir gleich gesagt, du solltest nicht allein unterwegs sein, Valentine. Es ist einfach zu gefährlich.«
Sie versuchte , die Situation mit einem Lächeln zu entspannen. »Ist ja noch mal gutgegangen.«
»Dieses Mal. Wirst du ihn wiedersehen und mit ihm über alles reden?«
»Keine Ahnung. Irgendwie fühle ich mich von ihm hintergangen. Eigentlich will ich gar nicht wissen, woher er die Vampirjäger kennt, falls er selbst keiner von ihnen ist.«
Frédéric nickte , ohne ihr seine Meinung dazu zu verraten.
»Und was machen wir beide jetzt?«
Das Klingeln seines Handys schreckte sie auf.
»Oui?«
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