Valentine
Mutter hatte bestimmt ihre eigenen Vorstellungen, wie dieser aussehen sollte. Irgendwann musste sie sich ja mal melden, wo sie jetzt wohnte.
Ihm graute vor dem Wiedersehen. Er war sich nicht sicher, ob es ihm gelingen würde, so zu tun, als hätte er mit dem Tod seines Vaters nicht zu tun. Gewiss hatte Ryad recht, dass es besser wäre, es Maman nicht zu sagen. Allerdings war Lügen nicht seine Stärke , und es half ihm nur wenig, dass der Vampirjäger ihm einzureden versuchte, dass er gar nicht anders hätte handeln können.
Es ist so, wie es ist. Ich muss damit leben. Ich bin ein Mörder.
Die Urnenbeisetzung würde frühestens in zwei Wochen stattfinden. Ryad riet Maurice dazu, eine Trauerfeier mit Kirche und Leichenschmaus zu organisieren. Immerhin gäbe es innerhalb des Präsidiums, bei Interpol und auch im Kölner Rathaus eine Menge Leute, die Geoffrey als wichtiges Mitglied der Kripo gekannt hatten. Wenn auch ohne nähere Kenntnis über die tatsächliche Aufgabe der Spezialeinheit. Aber Maurice wollte sich mit dem Gedanken, dass alle diese Leute ihm kondolieren und womöglich nach seiner Mutter fragen würden, nicht anfreunden. Was gingen ihn diese Fremden und irgendwelche Konventionen an. Wichtiger war, endlich seine Mutter und Aliénor zu finden, und Ryad hatte versprochen, ihm dabei zu helfen.
Nach Erledigung dieser Formalitäten lief Maurice planlos durch die Stadt. Sein Innerstes war aufgewühlt von den Schuldgefühlen über die Ermordung seines Vaters, aber auch in der Ungewissheit, ob er Valentines Liebe bereits verloren hatte. Der Begegnung mit ihrem Bruder sah er mit wachsender Nervosität entgegen. Noch drei Stunden, mit denen er nichts anzufangen wusste. Er kaufte sich eine Kinokarte und setzte sich in die letzte Reihe. Vom Film bekam er nichts mit. Es war nur eine Hintergrundberieselung für seine Gedanken, die sich im Kreis bewegte n .
Hoffentlich fand Frédéric ihn sympathisch und gut genug für seine Schwester. Ryad hatte angedeutet, dass bei Vampiren ein wenig altmodische Riten herrschten, was die Partnerwahl beträfe. Allerdings gäbe es dabei auch einige Überraschungen, hatte er schmunzelnd hinzugefügt, ohne zu erklären, was er damit meinte. Dieser verdammte Vampirjäger machte ihn mit seiner Geheimniskrämerei noch zusätzlich verrückt. Auf weitere Überraschungen würde Maurice lieber verzichten. Es war schon genug geschehen .
»Benimm dich anständig«, hatte Ryad noch gesagt, ehe er gegangen war.
Was verstand er darunter?
* * *
Die Kirchenuhren schlugen Mitternacht. Maurice lief schon seit einer halben Stunde nervös vor dem Domportal hin und her. Er hielt inne, als sich mit schnellen Schritten ein Mann in schwarzer Lederkleidung näherte, in seinen Bewegungen dynamisch und muskulös . Seine halblangen schwarzen Locken fielen ihm offen über die Schultern , und um den Hals trug er ein auberginefarbenes Tuch. Der Vampir war bei weitem nicht so groß und stämmig, wie er erwartet hatte, und nur wenig größer als er selbst. Seine Gesichtszüge ähnelten Valentines, waren aber weniger weich.
Erwartungsvoll sah Maurice ihm entgegen. Zu seiner Erleichterung war ihm der Fremde gleich auf den ersten Eindruck sympathisch. Der Vampir blieb kurz stehen, musterte Maurice, wohl um sich Gewissheit zu verschaffen, dass dies die Person war, die er treffen wollte. Dann kam er näher und streckte Maurice seine Hand entgegen.
»Bon soir. Ich bin Frédéric de Bonville.«
Sein Händedruck war ein wenig kühl und zugleich angenehm fest. »Bon soir. Merci für dieses Treffen, Monsieur Le Duc.«
»Lassen Sie uns hineingehen, Monsieur Boux. Drinnen sind wir ungestört.«
Frédéric machte eine unbestimmbare Geste und bewegte dabei stimmlos die Lippen, woraufhin sich das schwere Kirchenportal einen Spalt weit öffnete. Gerade so viel, um hineinzuschlüpfen. Maurice blickte sich schnell um, ehe die Tür hinter ihm ohne einen Laut sanft ins Schloss fiel. Niemand beobachtete sie.
Der Duc wartete nicht auf Maurice, sondern schritt forsch voran und vollzog dabei einige Handbewegungen, begleitet von leise gesprochenen Worten in einer fremden Sprache. Daraufhin begannen zwei große Kerzen in der Nähe des Hauptaltars zu brennen. Alsdann drehte der Vampir sich um und musterte Maurice mit undurchdringlichem Ausdruck von oben bis unten. Dieser fühlte sich wie von einem Röntgenapparat durchleuchtet. Scheinbar verfügten alle Vampire über derart dominante Fähigkeiten.
»So, die Alarmanlage ist
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