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Valentine

Valentine

Titel: Valentine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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Dochte. Den Aufstieg im Dunkeln, Wände und Stufen nur vom warmen Kerzenschein beleuchtet, empfand selbst sie als Geschöpf der Nacht mystisch. Als Vampire hätten sie und Frédéric sich natürlich am liebsten auf den Turm materialisiert. Aber das wäre unfair den anderen gegenüber gewesen, und so schritten sie Stufe um Stufe mit hinauf, bis zur Plattform in fast hundert Metern Höhe.
    »Sind wir bald da?«, keuchte Chantal.
    Auch Maurice und Aliénor schnauften vo n der ungewohnten Anstrengung des Aufstieg s . Als sie nach draußen traten, schlug ihnen ein eisiger Wind entgegen, der sofort die Kerzen ausblies. Alle zogen ihre Jacken zu. Der Wind zerzauste Valentines und Aliénors lange s Haar.
    Am Stadtrand braute sich eine dunkle Gewitterfront zusammen. Valentine entging nicht das kurze Stirnrunzeln, als Frédéric den Himmel in der Ferne musterte, um zu sehen, was da schnell näher kam.
    »Lasst uns um die Ecke gehen, sonst fliegt uns die Asche entgegen.« Er schrie gegen den Wind an, um sich verständlich zu machen.
    Alle folgten ihm. Während Maurice die Urne hielt, schraubte Frédéric den Deckel ab. Sofort griff der Wind in das geöffnete Gefäß, saugte einen Teil der Asche heraus und wirbelte ihn wie in einem Trichter in die Luft empor. Chantal hielt schützend ihre Hände über die Urne, nahm eine Hand voll Asche, wandte sich der Brüstung zu und hielt die Hand ins Freie.
    »Ruhe in Frieden, Geoffrey. Möge Gott dir deine Taten verzeihen.« Ihre Stimme erstarb in einem Schluchzen, während Aliénor und Maurice leise »Amen« anfügten.
    Plötzlich dröhnte der Turm vom Klang einer Glocke. Chantal griff erschrocken nach Valentines Arm, da sie ihr am nächsten stand.
    »Heiliger Sankt Peter«, stieß sie atemlos hervor. Ihr Gesicht zeigte sich noch blasser als zuvor.
    D ’ r decke Pitter, wie die Sankt-Peters-Glocke im Volksmund liebevoll genannt wurde, war eine der acht Glocken des Kölner Doms und die größte , frei schwingende Kirchenglocke der Welt. Nur zu besonderen Festtagen erhob sich ihr sonorer Klang über die Dächer der Stadt. Das wusste jeder. Valentine hätte dies gern als Zufall abgetan, aber die Glocke schlug mit solcher Wucht, dass das Mauerwerk bebte.
    Dessen ungeachtet schüttelte Maurice die restliche Asche aus der Urne. Der Wind zerrte an seinen Armen, als könne er es kaum erwarten, die Überreste von Geoffreys Körper hinaufzutragen, zu verwirbeln und auseinanderzureißen, nur um sie noch einmal zusammenzublasen und dann endgültig aufzulösen.
    Ein letzter, fast wütender Schlag der Glocke erschütterte den Turm. Dann kündeten langsamer und leiser werdende Töne davon, dass die Glocke allmählich an Schwung verlor und der Klöppel sein Ziel nicht mehr traf. Dafür gewann die finstere Wolkenfront an Konsistenz und kam mit atemberaubender Geschwindigkeit näher.
    Valentine befiel ein Frösteln. Ihre Instinkte schlugen Alarm. Das Wetter hatte überhaupt keine Gewitterbildung begünstigt. Nichts, was in diesem Moment geschah, war normal. Hier waren dämonische Kräfte am Werk.
    Mit einem Taschentuch tupfte Chantal sich ein wenig umständlich die Tränen von den Augen und verlor unter dem Windstoß, der sie in den Rücken traf, fast das Gleichgewicht. Maurice ergriff geistesgegenwärtig ihren Arm und stützte sie, ehe sie gegen die Brüstung taumelte. Der Turm wurde so heftig umtost, als wolle der Wind ihn aus dem Fundament reißen . Die Kleidung aller wurde aufgebläht , und ihre Füße standen alles andere als fest auf dem Boden. Wäre Valentine allein gewesen, hätte sie sich an einen sicheren Ort transformiert.
    »Weg hier, wir müssen wieder runter, sofort!«
    Frédéric schob Aliénor und Chantal energisch Richtung Tür. Als sie zurück um die Ecke bieg en wollen, schlug ihnen der Sturm so heftig entgegen, dass es Minuten zu dauern schien, bis sie endlich den Ausgang erreichten. Innen im Turm war es eiskalt, die Stufen mit einer glatt gefrorenen Schicht bedeckt.
    Es war Chantal anzusehen, dass diese unerwarteten Veränderungen sie ängstigten. »Maurice, was geht hier vor ?«
    Frédéric ging voraus. »Gib mir deine Hand, wir alle zusammen schaffen das.«
    Der Sturm rüttelte wie ein wütendes Ungeheuer am Turm. Lautes Krachen und Poltern war von draußen zu hören. Ein kalter Schauer erfasste Valentine. Der Turm würde doch wohl nicht ausgerechnet heute, nach so vielen überstandenen Jahrhunderten, in sich zusammenstürzen? Ein Zittern raste von unten die Stufen herauf, zwischen

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