Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
ihnen lächelnd ein. Ihre locker sitzende Flatterbluse war so weit offen, wie es eben ging.
Alle Männer im Dorf – das Dorf stand unter der stolzen Führung der Männer – sahen in ihrem Bürgermeister einen Mann mit einer Vision und großem Klarblick. Man konnte ihn nicht mit den früheren Bürgermeistern vergleichen, die die Regierung geschickt hatte. Bei diesem neuen Typus Bürgermeister
tat
sich etwas. Ihre Dörfer waren lebendiger und dynamischer.
Auch die First Lady war zu berücksichtigen. Lächelnd stand sie hinter ihm, mit ihren schlanken Beinen. Was für ein Weib.
Sie war jung und ganz und gar modern. Schicke Kleider und ein schicker Wagen. Der Bürgermeister war wirklich wer, sagten die Dorfbewohner. Warum wäre sie sonst so bereitwillig aus der Stadt weggezogen? Warum sollte eine Frau, die säckeweise teure Orangen kaufte, nur weil ihr der Sinn danach stand, eine Frau, die nie freiwillig einen Finger rührte, der nie der Schweiß auf der Stirn stand oder die Sonne in den Nacken brannte, warum sollte eine so strahlende Erscheinung in ihr winziges Dorf umziehen,in einen abgelegenen Teil des Flachlands, ans Ende der Welt? Doch nur, weil dieser berühmte Bürgermeis ter einzigartig war. Einer von ihnen. Er war wirklich jemand.
Sie wussten nicht, dass der Bürgermeister seine Frau in einer Diskothek kennengelernt hatte. Dass sie in einer Bar gearbeitet hatte und aus einem kleinen Dorf im Norden an der Grenze zur Slowakei stammte und erst fünf Monate in Budapest war, als sie dem Bürgermeister begegnete. Sie wussten nicht, dass der Bürgermeister sie angesehen und sofort ein heftiges Ziehen gespürt hatte. Er hatte ihr erklärt, wer er war, was er machte und was er vorhatte, und ihr dann auf der Stelle einen Heiratsantrag gemacht. Sie willigte sofort ein, denn genau aus diesem Grund war sie ja in die Stadt gekommen. Am nächsten Tag gingen sie einkaufen und danach nahm er sie ins Dorf mit, wo sie sich unverzüg lich häuslich einrichtete.
***
»Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen oder auch nur zu denken«, sagte Ibolya, nachdem der Bürgermeister über seine jüngsten Geschäfte mit den Koreanern gesprochen hatte. »Aber könnte es sein, dass der Bürgermeister ein Arschloch ist?«
Sie verkündigte das aus heiterem Himmel. Der Bürger meister war gerade erst zurückgekommen und sie machte gerade eine Flasche Bier auf, als ihr dieser Einfall kam, einfach so. Sie schäumte vor Wut, nachdem sie bei ihm gewesen war, weil sie wollte, dass er entweder mehr Runden Bier ausgab oder sie an den größeren Einnahmen beteiligte, die er zweifellos in die eigene Tasche steckte. Der Bür germeister sträubte sich und weigerte sich auch, mehr Bier auszugeben.
»Sie sollten mir danken«, sagte er.
»
Sie
sollten
mir
danken«, antwortete sie.
Beide starrten sich kurz an, dann war ihnen klar, dass sie von nun an Feinde waren.
***
Sie wollte den Bürgermeister schlechtmachen.
»Wisst ihr, ich hab gelesen, dass der Schwachpunkt der Demokratie darin besteht, dass ein Land letztlich kriegt, was es verdient«, sagte sie zu ihren Stammgästen.
Die Männer blickten von ihren Bierflaschen auf.
»Wie? Was sagst du da?«
»Also«, fuhr sie fort, »ihr sagt, ihr wollt einen Mann mit einer Vision. Aber ist es denn so schwer zu sehen, dass das Straßenpflaster ausgebessert werden muss, dass die Gehsteige und Häuserfassaden Risse haben und von all den Autoabgasen ganz schwarz sind und ein bisschen neue Tünche vertragen könnten, und dass alle Briefkästen und Telefonzellen und die öffentlichen Gebäude in der Dorfmitte repariert werden müssen? Um all das zu sehen, braucht man keine Vision.«
»Was sagst du da?«, fragten die Männer unruhig. »Warum sprichst du in diesem Ton?«
»Wir bezahlen Steuern und er fährt davon in Urlaub. Zumindest habe ich diesen Verdacht. Versteht ihr nicht?«
Die Männer fingen an zu schreien.
»Pah!«
»Du spinnst.«
»Du solltest einfach nur Getränke ausschenken. Wir wollen all das gar nicht hören.«
»Wenn ihr so weitermacht, schenke ich keinen Tropfen mehr aus«, antwortete sie. »Ferenc wird euch alle rausschmeißen, stimmt’s, Ferenc?«
Ferenc, der Rotschopf, stand auf und nickte. Ibolya wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte, dass er furchtbarin sie verliebt war und alles für sie tun würde. Sie hatte ihn gern in ihrer Nähe. Für den Fall, dass etwas in der Kneipe aus dem Ruder lief, war es gut, einen Muskelmann dazuhaben. Aber er interessierte sie
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