Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
Ansonsten könnte mein Lehrling die Vasen für dich machen.«
Valeria gab keine Antwort und blickte umher. Sie suchte etwas, was sie ihm an den Kopf werfen konnte.
»Raus«, sagte sie. »Verschwinde.«
***
Der Töpfer ließ sich das nicht zweimal sagen. Wie jemand, der befreit worden war, rannte er aus ihrem Häus chen und schaute zum Himmel hinauf, der ihm strahlend und wunderbar vorkam und so blau wie nie zuvor. Wie kam es, dass er so blau war? Dann überlegte er, ob er bei Ibolya vorbeischauen sollte, fand aber, dass der Zorn einer Frau für heute genügte. Ibolya hatte bestimmt inzwischen Wind von der Sache bekommen und würde mit der Mistgabel auf ihn warten. Der Töpfer beschloss, derlei Affären lieber jüngeren, tollkühneren Männern zu über lassen .
Als er jedoch bei seiner Werkstatt ankam – nachdem er sein Rad einen halben Kilometer durch die Felder getragen hatte, nur um nicht an Ibolyas Kneipe vorbeizumüssen –, war seine gute Laune verflogen und er war wütend. Verschwitzt und wütend. Hätte Valeria nur eine leise Ahnung davon gehabt, wie viel Zeit er auf den Krug verwendet hatte, dann hätte sie ihn nicht so schnell in seine Werkstatt zurückgeschickt. Sie hätte ihn bitten sollen, dazubleiben und den Krug auszubessern. Das wäre normal gewesen. Wieso hatte er das verdammte Ding gemacht, wenn es jetzt miteinem Loch in der Seite in ihrer Schlafzimmerecke stand und verstaubte? Für wen hielt sie sich eigentlich? Außerdem wollte er nicht sofort zurück an die Drehscheibe. Ein plötzlicher Schmerz durchfuhr ihn, als sei er auf dem besten Weg, die Werkstatt zu hassen – den einsamen, schlecht beleuchteten Raum, in dem nur seine Produktivität gefragt war. Schöpferisch tätig zu sein war harte Arbeit, bemerkte der Töpfer und er fragte sich, ob Gott das auch so empfand. Wenn man einmal begonnen hatte, leidet man bereitwillig, bis man fertig ist. Und wozu das alles? Für nichts als ein bitteres Ende. Nur saure Trauben und als Lohn ein Tritt in den Hintern. Wer Gutes tut, wird noch bestraft, dachte der Töpfer. Er war bestürzt. Die Angst hatte über ihm Platz genommen und die Depression hatte seine Fersen in ihren Fängen. Der Töpfer erschauerte und trat gegen das Tischbein. Wieder einmal saß er allein in seiner Werkstatt, mit Säcken voll Ton … eine erbärmliche kleine Gottheit und ihre noch erbärmlichere Schöpfung. Ein deprimierter Prometheus. Jahve mit Schiss in der Hose.
Gottähnlich war er jedoch, ohne jede Blasphemie. Dass er gottähnlich war, war keine Hybris. Der Töpfer verstand augenblicklich, dass er in seiner Handwerkskunst ein Niveau erreicht hatte, auf dem er alle Furcht, alle Angst und Depression sublimieren, in Kunst verwandeln konnte. Das wurde ihm plötzlich klar. Der Töpfer erkannte, dass es nichts Besseres gab, als sich in seinem göttlichen Ebenbild zu spiegeln und etwas Dauerhaftes zu kreieren. Keuschheit ist nicht Gott. Güte ist nicht Gott. Ehrlichkeit ist nicht Gott. Gott, Kern und Gipfel der menschlichen Existenz, ist, dass man tief nach innen greift, seine Hände, seinen Verstand, sein Blut, seine Vorstellungskraft und sein Sperma gebraucht, auf die formlose Leere ringsum zeigt und den Satz spricht, mit dem die ganze Welt beginnt: Es werde Licht! Wenn ein Mensch das tut, wenn er es wirklich tutund obendrein etwas Neues kreiert … neue Kunst oder sonst etwas Neues, dann ist dieser Mensch heilig, es ist ein Mensch, der sein Leben in Gottes Ebenbildlichkeit lebt. Dieser Mensch ist ein Apostel. Er hat seine ganze erbärm liche kleine Existenz verwandelt und wird zu Gottes Füßen sitzen.
Der Töpfer deutete voller Hoffnung auf einen Sack Ton.
»Es werde eine Rübe!«
Er holte Atem und senkte den Kopf. Sein Kinn ruhte auf seinem Brustbein. Seine Angst verschwand. Er hatte Durst und fand, ein Gläschen wäre jetzt genau das Richtige. Vielleicht konnte er doch kurz bei Ibolya vorbeischauen. Nur auf ein Glas, weil er ja sofort wieder nach Hause musste …
***
Er
war
froh, als er wieder zurück war, froh, dass er nach Hause gegangen war. Er war froh, eine Aufgabe zu haben. Er betrachtete den Sack Ton. Er wollte unbedingt mit Valerias Vasen anfangen und war gespannt, was seine Einbildungskraft hervorbringen würde. Valeria wollte Vasen? Ein Paar Vasen? Ein einfaches Paar Vasen wäre kein Problem gewesen. Aber sie wollte welche, die an Rüben erinnerten. Deshalb hatte sie ihn weggeschickt. Zumindest hatte er einen halben Hektar der verdammten
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