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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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Fabrik westlich von Split in Trogir, einem kleinen Ort am Meer im Norden Dalmatiens, hergestellt. Auch das Fahrrad des Schornsteinfegers stammte von dort.
    Die Fabrikation war vom Erzherzog Franz Ferdinand veranlasst worden, seines Zeichens Thronfolger von Österreich, Herrscher von Österreich-Ungarn und begeisterter Radfahrer. Genauer gesagt hatte er eine Vorliebe für das Unglücksmodell von 1902 und besaß davon sechs Stück. Er verfügte, dass die Fahrräder im ganzen Reich an die Briefträger verteilt wurden. Dahinter stand die richtige Überlegung, dass sie billiger und effizienter als Pferde seien.
    Ein Hase wurde seinem Besitzer gestohlen – er hieß Gabriel Csusco und war das serbische Faktotum eines Bezirksrichters. Er wurde eines Tages im Spätwinter auf der Vlasnyet-Brücke am Stadtrand von Belgrad von Raufboldenniedergeknüppelt und in den Fluss geworfen. Diese Männer – die meisten junge Anarchisten und, wie belegt ist, ein Homosexueller – wurden später für das Verbrechen verhaftet, nachdem einer von ihnen, dem offenbar entfallen war, wie er zu dem Fahrrad gekommen war, am helllichten Tag damit zum Gericht geradelt war, um eine Geldstrafe noch rechtzeitig zu bezahlen. Die Polizisten, die vor dem Gerichtsgebäude standen, sagten später, dass ihnen sofort mehrere Dinge aufgefallen seien: erstens, dass jemand, der erwiesenermaßen Anarchist ist, überhaupt eine Strafe bezahlen kam, und zweitens, dass er sein Fahrrad an dem Platz abstellen wollte, der immer noch für das Faktotum des Richters gemietet war.
    Die Anarchistenbande und der Homosexuelle wurden gefasst und das Fahrrad als Beweis konfisziert. Damit wäre die Geschichte eigentlich zu Ende gewesen, hätte nicht ein korrupter Polizist das Rad an einen Postboten verkauft, der seines beim Kartenspiel verloren hatte und einen Ersatz brauchte, bevor seine Vorgesetzten davon erfuhren. Der Postbote war ein deutscher Einwanderer namens von Kleist. Er war ein übergewichtiger, asthmatischer Genießer, für den das Postaustragen seit der Umstellung von Pferden auf Fahrräder zu einer lebensbedrohlichen Arbeit geworden war. In einem Anfall von Brillanz ersann er ein System der Postzustellung, das für alle, bei denen er die Runde machen musste, hervorragend klappte: Er hinterlegte die Post entweder in der Kirche oder in der Kneipe. Niemand beklagte sich darüber. Kirche und Kneipe bekamen mehr Zulauf und alle Betroffenen waren zufrieden. Die Leute holten ihre Post ab, wann sie Lust hatten.
    Im Frühling darauf starb von Kleist im Bett seiner Geliebten, während ein Sack mit Post am Fußende lag. Die verzweifelte Frau meldete es der Polizei, und danach kamen die Bewohner drei Monate lang zu ihrem Häuschen undsahen nach, ob sie Briefe oder Päckchen aus dem Ausland bekommen hatten. Als endlich alle Post abgeholt war, und die Frau wieder ihre Ruhe hatte, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus und bandelte sofort mit einem verheirateten Maurer an. Aufgrund eines Bürokratiefehlers kam das Kaiserreich von Kleists Sachen nie abholen, und das Fahrrad blieb vor dem Häuschen der Frau liegen. Dann brach der Erste Weltkrieg aus, eine Bande umherschweifender Slowenen zündete von Kleists Geliebter das Haus an, und als das Dach der unglücklichen Frau einstürzte, wurde das Fahrrad unter Schindeln begraben.
    Als der Krieg schon lange vorbei war, fand eine Schar Zigeunerkinder das Rad und brachte es ihrem Vater – einem angesehenen Kesselflicker. Er flickte das alte Rad, doch bevor seine Kinder Radfahren gelernt hatten, brach der Zweite Weltkrieg aus und die ganze Familie wurde von deutschen Soldaten abgeholt, die das Rad konfiszierten und den Kindern einer einflussreichen Familie in Budapest schenkten.
    Es sei hier nur gesagt, dass die Kinder dieser einflussreichen Familie allesamt in der Donau ertranken, als die deutsche Armee auf dem Rückzug Löcher in den Ponton der Familie schoss, um die Engländer aufzuhalten, die den Fluss entlang patrouillierten. Die verzweifelten Eltern schenkten das Rad dann einem Schornsteinfeger, der, als er die tränen reiche Geschichte erfuhr, sagte: »Nun, ich suche etwas Haltbares. Wenn das Rad all das überlebt hat, dann muss es robust sein.«
    Viele Jahre später kam es in einer Asbestfabrik zu einem Unfall, der den Schornsteinfeger erblinden ließ. Er gab das Fahrrad an seinen jungen Lehrling weiter.
    Der junge Lehrling und der Schornsteinfeger arbeiteten fünf Jahre zusammen. Sie gingen aus Budapest fort und aufs

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