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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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Ruß um die Augen weg und sah verblüfft, dass die Frau mit einem frischen, feuchten Handtuch neben ihm stand. Er nahm es ihr aus der Hand.
    »Ich bin fertig«, sagte er. »Haben Sie das Geld?«
    »Ja«, antwortete sie. »Hier ist es.«
    Noch zwei Fünftausendforintscheine, funkelnagelneue Scheine, die wie Herbstlaub raschelten und so rosa warenwie Fischbäuche. Wieder vergaß der Schornsteinfeger sein Grinsen und strahlte übers ganze Gesicht. Als sie ihn ein letztes Mal umarmte, drückte er sie an sich und blieb noch ein Weilchen stehen. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte er zwanzigtausend Forint verdient. Das waren in anderen Dörfern drei Tageslöhne.
    »Sagen Sie mal«, fragte er, ohne sie loszulassen. »Wann ist hier das letzte Mal ein Schornsteinfeger vorbeigekommen? Gibt es keinen im Dorf oder in der Nähe?«
    Die Frau schüttelte den Kopf, riss sich zusammen und machte sich von ihm los.
    »Wär das nicht schön? Ein Schornsteinfeger im Dorf!« Sie war jetzt nervös, strich sich über Haare und Kleid. Sie konnte ihn nicht ansehen. Wie er diese Landbewohnerinnen liebte! »Der letzte ist vor drei Jahren vorbeigekommen. Die Schornsteinfeger übergehen uns einfach. Wahrscheinlich denken sie, wir sind arm und es lohnt sich nicht für sie.«
    Das führte den Schornsteinfeger zu seiner nächsten Frage. »Ich glaube, ich habe einen Bahnhof gesehen.«
    Die Frau nickte. Sie reichte ihm noch einen Branntwein und schenkte sich auch noch ein Gläschen ein. Diesmal war es teurer Pflaumenschnaps.
    »Ja, stimmt, aber wir haben noch keinen Zug. Aber bald. Es ist das Lieblingsprojekt des Bürgermeisters und es ist beinah fertig. Nichts Großes, aber viele junge Männer aus dem Dorf arbeiten dort mit. Der Bahnhof wird ein wichtiger Arbeitgeber werden. Der Bürgermeister sagt, wir kriegen einen von diesen kleinen Zügen, wissen Sie, so einen klitzekleinen mit nur einem Waggon. Ein kleiner Intercity, ein Inter-Bitty.« Sie kicherte und betrachtete ihr Glas. Dann goss sie etwas Branntwein nach und fuhr fort: »Dann sind wir mit dem Rest des Landes verbunden und die Investoren kommen leichter zu uns.«
    »Was für Investoren?«, fragte der Schornsteinfeger.
    »Deutsche, glaub ich, vielleicht auch Engländer oder sogar Amerikaner. Wär das nicht was? In den letzten paar Monaten hat der Bürgermeister Asiaten herumgeführt. Es sollen noch mehr werden.«
    Der Schornsteinfeger lachte spöttisch.
    »Was haben die denn hier verloren?«
    Die Frau zuckte die Schultern. »Das müssen Sie den Bür germeister fragen. Er sagt, wir hätten guten Boden und für eine Fabrik genau die richtigen Arbeiter.«
    »Was für eine Fabrik?«
    »Da müssen Sie den Bürgermeister fragen.«
    »Und was halten die Leute von den Fremden und dem Bahnhof?«, fragte der Schornsteinfeger lachend.
    »Das weiß ich nicht«, entgegnete die Frau. »Sie haben wohl nichts dagegen. Es ist gut für uns. Diesmal dürfen wir den Anschluss nicht verpassen. Wir rappeln uns wieder hoch, und damit bin ich sehr einverstanden.«
    »Wie heißt das Städtchen? Zivatar? Ich hab nirgends ein Schild entdeckt, nur das an der Kneipe.«
    Sie sah ihn kurz an. »Meine Güte, Sie kriegen aber auch gar nichts mit. Ja, stimmt, das hier ist Zivatar. Haben Sie nie davon gehört?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Sie wirkte enttäuscht, zuckte aber die Schultern und lächelte.
    »Verstehen Sie jetzt, warum wir den Zug brauchen? Der Bürgermeister hat recht. Dann könnten charmante Schornsteinfeger wie Sie jederzeit hierherkommen. Sie könnten einfach zu einer von diesen widerlichen kleinen Frauen gehen, die überall im Land an den Bahnhofsschaltern sitzen, und eine Fahrkarte nach Zivatar und zurück lösen, eines der wenigen Dörfer im Land, das nie geplündert wurde. Unser Städtchen zählt zu den wenigen in Ungarn, die nieunter den Einfluss von Fremden geraten sind. Unser Dorf war immer genau so, wie es heute noch ist. Wie finden Sie unser Kopfsteinpflaster? Sie sollten sich unbedingt den Dorfkern ansehen. Auf dem Marktplatz sind ein paar schö ne Kunsthandwerksgeschäfte, alles Handarbeit. Die Kirche ist neunhundert Jahre alt. Sie haben sie doch sicher an der Hauptstraße gesehen? Sie gehört zu den ältesten im Land. In den fünfziger Jahren mussten, glaube ich, die Glocken repariert werden, aber das Mauerwerk ist das alte. Sogar die Holzböden sind mittlerweile versteinert.«
    Der Schornsteinfeger runzelte die Stirn und suchte seine Sachen zusammen.
    »Aha«, sagte er.
    »Als die Türken

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