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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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Leben getreten wären. Anders als der Schornsteinfeger, der eigennützig handeln konnte, hatte der Töpfer in dieser Sache das Gefühl, dass er trotz seiner guten Absichten ganz und gar handlungsunfähig war.
    Wie die meisten Menschen in einer unangenehmen Lage stürzte er sich in die Arbeit.
    Doch einen Augenblick lang erinnerte er sich an seine verstorbene Frau, der er plötzlich sehr zugetan war, wenn auch vielleicht nur, weil es zwischen ihnen nie zu einer Krise gekommen war. Sein Leben war damals viel einfacher gewesen. Er war verheiratet und basta. In den Jahren ihres Zusammenlebens hatte er nie gezögert und sich ihr ganz gewidmet, selbst als sie vor Melancholie körperlich krankwurde. Und jetzt das! Den Töpfer schauderte bei dem Gedanken an seine Situation. Er hatte sich in seiner Werkstatt verbarrikadiert und war heilfroh darüber. Als er es satthatte, arbeitete er in der Jurte. Er war dankbar, dass er etwas Konkretes zu tun hatte. Wenn er sich ganz auf die Arbeit konzentrierte, rückte alles andere aus dem Blickfeld.
    Doch da war noch etwas anderes, etwas vielleicht Egoistisches. Als der Töpfer den Krug anfertigte, wurde ihm plötzlich klar, dass sein Handwerk Kunst sein konnte, und seitdem war alles in seinem Leben darauf ausgerichtet, wann immer er wollte, Kunst zu schaffen. Wesentlich war, dass er zum ersten Mal in seinem Töpferleben entdeckte, dass er es genoss, schöpferisch tätig zu sein. Genau besehen hatte daher keine der beiden Frauen eine Chance. Die Zeit ohne die beiden lehrte ihn, dass es ihm Freude machte, sich der Herausforderung zu stellen und die richtige Technik zu finden, um dem Tonklumpen genau die richtige Form zu geben. Wenn es nicht genau so wurde, wie er wollte, fing er wieder von vorne an. Wenn er es genau bedachte, wurde ihm bewusst, dass ihm der Ton genauso viel Freude machte wie ein Zusammensein mit Valeria oder Ibolya – wenn nicht sogar noch mehr. Deshalb hatte er sich also wochenlang eingeschlossen. Er lebte wie ein Einsiedler und kümmerte sich um nichts anderes. Die Arbeit verschaffte ihm Erleichterung, indem sie ihn von seiner unangenehmen Lage ablenkte. Er befand sich in dem perfekten Zustand, sich nicht entscheiden zu
müssen
.
    Zudem wusste er nicht das Geringste von den Schwierigkeiten im Dorf. Er wusste nichts von den Fremden, die auf dem Vormarsch waren und sich Vorteile verschafften. Als die Frauen, die vor Valerias Häuschen gestanden hatten, zu ihm kamen, verscheuchte er sie, ohne sie anzuhören. Er wusste nichts von Valeria und dem Schornsteinfeger, oder von Ibolya und dem Schornsteinfeger, und man kann unmöglichsagen, was er davon gehalten hätte, wenn er es gewusst hätte. Wie viele persönliche Krisen braucht ein Künstler?
    Der Töpfer ging in seiner Werkstatt auf und ab und merkte, dass sich Staub zwischen seinen Fußsohlen und den Pantoffeln festgesetzt hatte. Die Werkstatt war in heillosem Durcheinander. Das Telefon war immer noch ausgehängt. Vor dem Briefkasten türmte sich die Post. Seit drei Wochen durfte nicht einmal sein Lehrling zu ihm. Er war mit Rüben-Vasen beschäftigt und mit dem Brunnen.
    Er hatte zu wenig geschlafen. Da er nicht genug aß, nahm er ab und sein Gesicht war rau und zerklüftet, weil er sich nicht rasierte. Zuerst wollte er unbedingt die Vasen fertig machen – seine und ihre, nebeneinander, sollten sie sich ergänzen und umkreisen. Wie zwei Kreisel oder wie Derwische mit aufgeblähten Röcken.
    Erst hatte der Töpfer eine größere V-förmige Rübenvase gemacht. Den Rand hatte er mit gemalten Blumen verziert, mit Stiefmütterchen in Violett und Weiß. Auch an den Vasenfuß hatte er solche Stiefmütterchen gemalt. Die Vase war leicht zu halten und fühlte sich angenehm glatt an. Sie nahm sogar die Wärme des Töpfers in sich auf und strahlte sie zu ihm zurück. Als er die zweite Rübe in die Hand nahm und beide vor sich hielt, kam es ihm vor, als hielte er zwei unförmige Brüste in Händen. Komischerweise erinnerten sie ihn an Valerias Brüste. Vielleicht war das die Stimme seines Herzens, die ihn an etwas zu erinnern versuchte, dachte er. Das Versprechen ihrer Brüste? Er entsann sich an die Nacht, als er sie in den Armen gehalten hatte. Bei Tageslicht betrachtet wirkte sie so hart und kalt und kräf tig , aber das war sie gar nicht. Sie war so klein wie ein Vogel. Klein und weich und knochig, wie eine dicke Taube. Er entsann sich der Umarmung und betrachtete die Vasen. Sie hatte ihn dazu inspiriert.
    Bei dem Brunnen

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