Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
den Kopf. Der Lehrling ging einen Schritt nach hinten.
»Das war einmal. Aber jetzt nicht mehr. Ich bin kein Töpfer mehr. Mit mir ist etwas geschehen. Was genau, weiß ich nicht, aber hör mir jetzt zu. Hör mir ganz genau zu. Ich will dir die Werkstatt geben. Sie gehört dir. Ich schenk sie dir. Und zwar jetzt, augenblicklich. Kurz und schmerzlos. Nimmst du sie? Ich werde dir nicht sagen, wie du sie führen musst. Mach alles so, wie du denkst. Ich werde dir nicht auf die Nerven gehen und will auch nichts darüber hören. Es ist mir egal. Ich bleibe in meiner Wohnung und benutze die Werkstatt, aber von jetzt an bist du der Töpfer. Es wird höchste Zeit für dich. Wenn der verdammte Idiot von Bürgermeister seinen Bahnhof erst fertig hat, kriegst du vielleicht sogar ein paar Kunden. Touristen vielleicht, wer weiß? Ich weiß, dass ich das nicht mehr kann. Ich bin jetzt alt. Die Zukunft gehört nicht mehr mir, sondern dir. Und deiner Frau. Dir und deiner Frau, weil du es nicht alleine schaffen kannst. Wenn du klug bist, dann gehst du jetzt sofort in diese Kneipe und schnappst dir Fräulein Zsofi Toth. Dann bringst du sie zum Bürgermeis ter und ihr lasst euch von ihm trauen. Wenn er ihr Blicke zuwirft oder unverschämt zu dir wird, schlag ihm auf die Nase, das erwarte ich von dir. Wenn Zsofi dich noch nimmt, nachdem du dich so benommen hast, dann kannst du dich glücklich preisen. Die Werkstatt und das Geschäft schenk ich euch zur Hochzeit. Ihr seid jung und kräftig und könnt alles machen. Ich bin erledigt. Ich bleibe hier, bis ich sterbe, aber ich will nie wieder etwas machen, was ich nicht will. Ich möchte Kunst schaffen. Nicht mehr und nicht weniger schwebt mir vor. Kunst machen und die Frau lieben, die mich dazu bringt, dass ich das will. Verstehst du? Valeria ist diejenige, die mich zur Kunst gebracht hat. Ich seh das – es ist im Ton und überall. Verstehst du, was ich sage?«
Der Lehrling staunte nicht schlecht. Er nickte.
»Warum stehst du dann hier wie ein Esel herum? Geh zu Zsofi. Schnapp sie dir, mach ihr einen Heiratsantrag. Schlaf mit ihr. Habt Babys zusammen. Los geht’s!«
Der Lehrling war aufgewühlt. Er nickte und stürmte aus der Werkstatt. Der Töpfer blickte sich um und lächel te . Ihm war, als fiele eine große Last von ihm ab, und zum ersten Mal seit seiner Kindheit hatte er das Gefühl, leben zu dürfen. Er ging in seine Wohnung, holte seinen Anzug hervor und machte sich für einen Besuch bei Valeria zurecht. Er hoffte, dass es nicht zu spät war.
***
Valeria hatte viel zu putzen. Es kam ihr endlos vor. In den zehn Tagen mit dem Schornsteinfeger war alle Hausarbeit liegen geblieben. Die Schränke waren nicht abgeschlossen und weit geöffnet. Nahrungsmittel und Sherryflaschen standen auf den Tischen und Schränkchen. Die Pflanzen im Garten welkten vor sich hin und die Tiere mussten allein zurechtkommen. Sie gruben nach Wurzeln und fraßen Gras.Jemand war vorbeigekommen und hatte die Kuh gemelkt. Man hatte ihr sogar frisches Heu hingeworfen. Und aus irgendeinem Grund machte Valeria all das nichts aus. Sie dachte das zwar, aber so war es nicht. Es war in Ordnung. Die Welt war nicht untergegangen.
Sie hielt es für das Beste, mit der Wäsche anzufangen. Sie tat die Bettlaken in ihre alte Waschmaschine und ließ sich ein heißes Bad ein. Das Bad war ein Luxus, den sie sich vor dem Besuch des Schornsteinfegers nicht gegönnt hätte, aber sie hatte sich auch seiner Vitalität hingegeben und war deshalb müde. Obwohl er schon vor drei Tagen gegangen war, war sie immer noch müde. Ein ausgiebiges Bad würde ihre fiebrigen Muskeln entspannen, dachte sie.
Sie saß in der Wanne und seufzte. Als sie daran dachte, wie der Schornsteinfeger auf ihr gelegen hatte, musste sie lächeln. Einmal kicherte sie sogar. Was für ein dummer kleiner Mann. Gedichtrezitationen auf den Eingangsstufen. Vor den Dorfbewohnern. Idiot. Sie lehnte den Kopf zurück und legte sich einen Waschlappen auf die Stirn. Die Seife brannte in den Liebesbissen an ihren Schultern. Ihr schauderte. Dann dachte sie an den Töpfer und zuckte die Schultern.
»Wir werden nicht jünger«, sagte sie laut. »Er weiß doch, wo ich wohne. Er hätte mich besuchen können. Oder zumindest ein paar Zeilen schreiben. Seit fast einem Monat hat er nichts von sich hören lassen.«
Valeria blieb lange in der Badewanne. Sie hatte das Gefühl, es verdient zu haben. Sie schlief ein.
Von einem Klopfen an der Tür wachte sie auf. Sie versuchte, es
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