Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
zu überhören, aber es wurde zu einem Hämmern – laut und beharrlich. Sie stieg aus der Badewanne, wickelte sich ein Handtuch um und zog einen Bademantel an. Sie nahm schnell ihren Schlüsselbund vom Türknauf und ging barfuß an die Haustür.
»Wer ist da?«, fragte sie.
»Valeria, ich bin’s«, sagte der Töpfer. »Bitte lass mich rein.«
Valeria musste schwer schlucken. Um ihn anzuschreien, war sie zu entspannt, auch wenn sie es gerne getan hätte. Sie machte die Tür einen Spalt weit auf und streckte den Kopf heraus. Er stand vor ihr, im selben Anzug wie vor einem Monat. Sein weißes Haar war mit Pomade frisiert und sein Schnurrbart war frisch gebürstet. In der Hand hatte er Geschenke.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie.
»Die hab ich für dich gemacht«, sagte er und überreichte ihr die Geschenke.
»Was ist das?«
Der Töpfer sah zu ihr hoch. »Deine Vasen. Du hast doch gesagt, dass du Vasen willst. Ich habe einen Monat für sie gebraucht. Es war nicht leicht. Ich habe viel herumprobieren müssen, bis sie endlich die richtige Form hatten. Ich habe noch mehr Geschenke. Sie sind alle für dich, ich geb sie dir gleich. Aber erst musst du die Vasen annehmen – samt meiner Entschuldigung.«
Valeria schaute die eingewickelten Geschenke an. Dann schaute sie ihn an. Er wirkte zufrieden.
»Willst du damit sagen, dass ich den ganzen Monat keinen Pieps von dir gehört habe, weil du mit meinen Vasen beschäftigt warst?«, fragte Valeria. »Was ist mit dem Bravourstück, das du dir auf dem Markt geleistet hast?«
Der Töpfer nickte. »Weißt du nicht mehr? Du wolltest Rüben.«
Valeria schüttelte den Kopf. »Wie kann ein Mensch nur so dumm sein«, sagte sie. »Das ist einen Monat her. Ich hab gedacht, du bist weggelaufen.«
»Ich hab mein Bestes getan«, sagte der Töpfer gereizt. »Das hat gedauert. Ich könnte nie weglaufen … Wenn dusie nicht willst, kann ich sie immer noch verkaufen. Aber das war längst nicht alles.«
Valeria nahm die Vasen entgegen und machte die Tür weiter auf, damit der Töpfer ins Haus konnte.
»Du darfst reinkommen.«
Der Töpfer trat ein und ging hinter Valeria zum Küchen tisch . Er blickte sich um.
»Valeria, ist alles in Ordnung?«
»Was? Ach so, das Durcheinander. Ich hatte Gäste.«
»Gäste«, sagte der Töpfer. »Wen denn? Soldaten?«
»Sei nicht albern. Jemand hat mich besucht.«
Der Töpfer tat, als wüsste er von nichts: »Was hör ich da? Doch nicht etwa ein Mann?«
»Doch. Ich hab gedacht, du hättest mich verlassen. Ich hatte Herrenbesuch«, sagte sie in sachlichem Ton. »Er hat mir mit Gedichten den Hof gemacht, hier auf den Eingangsstufen. Vor dem ganzen Dorf. Man wird nicht jünger, weißt du.«
Der Töpfer räusperte sich. Valeria riss das Geschenkpapier von den Vasen.
»Oh, mein Gott!«
»Gefallen sie dir? Ich hoffe es sehr.«
Valeria betrachtete sie genau.
»Sie sind wunderschön. Die schönsten Vasen, die ich je gesehen habe.«
»Ich hab ihnen eine Rübenform gegeben, so wie du es gewollt hast. Ich hab sie violett angemalt und dann Stiefmüt terchen draufgemalt. Wie findest du sie?«
»Großartig. Sie sind ganz großartig. Vielen, vielen Dank. Mir fehlen die Worte.«
Valeria hielt die Vasen in der Hand und lächelte sie an. Obwohl sie normalerweise nicht sentimental war, musste sie unwillkürlich an ihren Großvater denken. An ihre Kindheit. Wenn sie die Vasen betrachtete, erschienen ihrselbst die traurigen Augenblicke ihrer Kindheit auf eine Weise freudevoll, zu der sie keinen Zugang mehr hatte. Sie fand die Vasen schön, weil sie ihr die Freude in Erinnerung riefen, die sie als Kind erlebt hatte. Es war das subtilste Kunstwerk, das der Töpfer je geschaffen hatte. Es hatte eine starke emotionale Wirkung auf sie. Sie hätte gleichzeitig lachen und weinen können. Als wäre sie zufällig auf eine Spieldose aus ihrer Kindheit gestoßen, deren Klang ein Leben freigesetzt hatte, das schön gewesen, aber endgültig vorüber war und das man sehr gern wiederhätte.
»Ich habe noch ein Geschenk für dich, das sogar noch außergewöhnlicher ist«, sagte der Töpfer. »Und meine Werkstatt habe ich meinem Lehrling zur Hochzeit geschenkt. Alles, was ich jetzt noch habe, ist Zeit.«
Valeria lächelte ihn an und hielt die Rüben vor sich.
»Wie kann denn etwas noch schöner sein«, sagte Valeria. »Vollendeter geht es nicht.«
»Ich habe Zeit für dich und meine Kunst«, sagte er.
Sie sah ihn an. »Was willst du von mir?«, fragte
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