Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
Sie gingen ungefähr hundert Meter weit. Der Töpfer zündete eine Zigarette an und gab sie dem Bürgermeister. Dann zündete er sich selbst eine an und inhalierte. Er blickte auf der Baustelle umher.
»Ihr müsst die letzten Schienenschwellen noch beschaffen«, sagte er seufzend.
»Ja, ich weiß«, sagte der Bürgermeister kopfnickend.
»Innen braucht der Bahnhof einen zweiten Anstrich«, sagte er, »und der Kronleuchter muss sicherer aufgehängt werden.«
Der Bürgermeister nickte wieder. Der Töpfer war gereizt.
»Was ist los, Bürgermeister? Ohne den fertigen Bahnhof kommt mein Brunnen nicht zur Geltung. Gerade ist die Pumpe aus Wien eingetroffen. Wir können also eigentlich loslegen.«
Der Bürgermeister lachte. »Ihr Brunnen! Sie sind schon ein komischer alter Kauz. Das hier ist mein Bahnhof.«
Der Töpfer schnaubte: »Also, es ist mein Brunnen. Ich habe ihn gemacht und zum Großteil bezahlt.«
Der Bürgermeister gab ihm recht. Er blickte sich auf dem Bahnhofsgelände um und seufzte.
»Ich bin immer noch deprimiert«, sagte er. »Ich dachte, das sei vorbei, aber kaum bin ich hier, steck ich wieder drin. Was soll das Ganze?«
Der Töpfer zog an seiner Zigarette.
»Sie können jetzt nicht mehr zurück – Sie sind viel zu weit damit«, sagte der Töpfer. »Der Bahnhof ist doch fast fertig. Nur noch ein paar Schienenschwellen, ein bisschen Farbe und ein paar Schilder. Das dauert doch höchstens ein, zwei Wochen.«
»Was läuft eigentlich zwischen Ihnen und Valeria?«, fragte der Bürgermeister, um das Thema zu wechseln.
Der Töpfer drückte seine Zigarette aus und zündete sich die nächste an.
»Sobald ich hier fertig bin, heirate ich sie. Ich schenk ihr den Brunnen zur Hochzeit.«
Der Bürgermeister betrachtete die Jurte. Die Schattenrisse gossen Bronze. Aus dem Eimer stieg Dampf. Außer Hör weite wirkten die Arbeiter wie Schattenspielfiguren. Als würden sie um die Skulptur tanzen. Der Bürgermeister hatte neuen Mut gefasst.
»Vielleicht könnte ich den Bahnhof meiner Frau schenken? Ich könnte ihn nach ihr statt nach mir benennen.«
»Ja, das könnten Sie.«
»Ein Taj Mahal.«
»Mitten in der Steppe. Warum nicht?«
»Ob sie das Geschenk annimmt? Immerhin hat sie mich rausgeworfen. Meinen Sie, sie wird mir verzeihen?«
»Das weiß ich nicht. Was ist denn mit der Friseuse – spielt sie noch eine Rolle?«
Der Bürgermeister dachte darüber nach, und zwar zum ersten Mal. Und kam zu dem Schluss, dass sie keine Rolle spielte. Sie war nur eine Friseuse. Julietta hieß sie. Sie hatte grün gesprenkelte hellbraune Augen und einen Hintern, der sich in die Welt ausdehnte wie der Festlandsockel über den Abgrund. Der Bürgermeister entsann sich, wie er in diesen Abgrund geglitten war. Es war ein unvergleichliches Vergnügen gewesen, aber mehr nicht – eine Sinnesheimsuchung. Eine schlüpfrige, wirre, euphorische Arschnarkose.
»Sie war zu haben, verstehen Sie«, sagte er. »Das ist alles. Gerade Sie verstehen so was doch bestimmt.«
Der Töpfer schnaubte.
»Es kommt nicht mehr vor«, sagte der Bürgermeister optimistisch. »Ab jetzt ist die Friseuse für mich tabu.«
»Machen Sie Ihren Bahnhof«, sagte der Töpfer, ließ den Bürgermeister allein und ging zurück in die Jurte. »Wenn Sie den Bahnhof nicht fertig machen, kommt mein Brunnen nicht zur Geltung. Wenn Valeria erfährt, in was für einem Chaos hier alles ist, kommt sie nicht her. Und Ihrer Frau können Sie sagen, was Sie wollen, machen Sie nur keine falschen Versprechungen. Und machen Sie sich nicht kaputt deswegen, Untreue ist nicht Ihre Erfindung.«
Der Bürgermeister hob die Hand. Ob er winkte oder salutierte, konnte der Töpfer nicht sagen.
***
Die Bürgermeisterfrau hieß Klara, das sei hier festgehalten. Nachdem sie ihn hinausgeworfen hatte, packte sie all ihre Habseligkeiten in Koffer und stellte sie vor den Schrank am Eingang. Sie hatte ihre Verwandten angerufen und über sie einen Anwalt gefunden, der die Scheidung in die Wege leitete. Taj Mahals oder Narkosen interessierten sie nicht im Geringsten.
Als der Bürgermeister vom Bahnhof zurückkam, in der Hoffnung, sie davon überzeugen zu können, dass es ihm leidtat und er alles tun würde, damit sie ihn wieder liebte, bestellte sie gerade per Telefon einen Kleinbus.
Sie saß auf dem Sofa, als der Bürgermeister das Haus betrat. Beim Telefonieren sah sie ihn an, und das stimmte ihn optimistisch. Als er begriff, dass sie fortwollte, fiel ihm das Herz in die Hose. Sie
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