Valhalla: Thriller (German Edition)
gesamten langen Karriere noch nie zurückgegriffen hatte. Er ließ sich fallen wie ein nasser Sack. Nicht sehr heroisch, aber wirksam. Denn während er noch versuchte, herauszubekommen, was in drei Teufels Namen hier eigentlich gespielt wurde, spürte er, wie etwas Großes über seinen Kopf hinwegsauste und hinter ihm gegen die Wand klatschte. Er fuhr herum, um zu sehen, was das gewesen war, bereute seine Entscheidung aber fast augenblicklich. Der blutige, völlig zermalmte Körper eines Soldaten war auf den Boden geplatscht und dort liegen geblieben – gesichtslos, deformiert, Arme und Beine in groteskem Winkel vom Körper abstehend.
Die Schreie nahmen zu, ebenso das Mündungsfeuer. Einen Würgereiz unterdrückend, kroch Viktor weiter. Um ihn herum hielten das Kreischen und Herumrennen an. Die Kugeln pfiffen.
Sind das wirklich meine Leute?
Was auch immer die Soldaten in ihrer Dienstzeit an Professionalität erworben hatten, war fort. Weggehext wie das Lächeln eines Kindes, dem man seinen Lolli weggenommen hatte. Auf allen vieren robbte er vorwärts, um aus der Gefahrenzone zu gelangen.
»Abbrechen«, brüllte er in sein Mikro. »Sofort abbrechen.«
Er hätte genauso gut versuchen können, einen einbeinigen Stepptanz hinzulegen. Niemand hörte auf ihn. Niemand beachtete ihn. In manchen Situationen war einfach alles sinnlos.
Wieder vernahm er das Keuchen.
Was war das, ein asthmatischer Beelzebub?
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Viktor keinen Schimmer, von wem oder was sie da eigentlich angegriffen wurden. Die Flüchtigen konnten es kaum sein, die hockten ja selbst vor Angst bibbernd in ihrem Versteck. Aber was war es dann? Er erinnerte sich nur an eine Bewegung, so ungeheuer schnell, dass sie eigentlich nur von einer Maschine stammen konnte. Nichts, was lebte und auf vier Beinen stand, konnte eine solche Kraft entfalten. Es hatte einen Mann in der Luft zerrissen, als wäre er ein Wasserballon. Die blutigen Beweise sprachen eine deutliche Sprache. Hier eine Hand, dort ein Hautfetzen, Reste einer Uniform.
Will jemand ein Beinchen?
Ich hätte gern einen Flügel.
Der Geschmack von Erbrochenem füllte seinen Mund. Jetzt bloß nicht übergeben. Du trägst immer noch die Maske. Willst du zu allem Überfluss auch noch dieses beschissene Virus einatmen?
Die Furcht half ihm dabei, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Es war seltsam: Anstatt ihn zu lähmen, machte sie ihn ruhig. Das war schon immer so gewesen. Einer der Gründe, warum er in Stresssituationen besonders gut abschnitt.
Seine Instinkte übernahmen die Kontrolle, führten ihn aus dem Schlamassel. Die Stimme in seinem Kopf gab ihm eindeutige Befehle.
Ignoriere die Schreie, lass dich nicht von den herumfliegenden Kugeln irritieren. Dort ist die Tür. Das ist dein Ziel. Immer darauf zu. Siehst du, gleich ist es geschafft. Nur noch ein paar Meter, dann hast du es hinter dir. Weiter, ja, du schaffst es. Und jetzt: lauf. Renn, wie du noch nie zuvor gerannt bist. Pumpe deine Lungen voll Sauerstoff und bring dich in Sicherheit. Hilf dir selbst, für deine Männer ist es zu spät.
46
H annah konnte nicht wirklich behaupten, zu verstehen, was da eben vorgefallen war. Es war, als habe ihr jemand in schneller Bildfolge eine Reihe von Szenen gezeigt, aus denen sie jetzt einen tieferen Sinn herauslesen sollte. Experimentalkino in Reinform, allerdings ohne einleitende Worte des Regisseurs. Fest stand lediglich, dass die Männer von irgendetwas angegriffen worden waren. Es war aus dem Treppenschacht gekommen, hatte die Unaufmerksamkeit der Soldaten ausgenutzt und ein schreckliches Massaker unter ihnen angerichtet. Offenbar war es dabei selbst nicht ungeschoren davongekommen. Hannah konnte sich an mehrere Treffer erinnern, die es deutlich langsamer hatten werden lassen. Irgendwann war ein letztes Husten erklungen, dann war das Ding wieder dorthin verschwunden, von wo es gekommen war.
Was blieb, war ein Schlachtfeld.
»Himmelherrgott«, stammelte Roberto. »Hast du das gesehen?«
»Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was das war.«
»Das hat niemand, glaube ich«, erwiderte Roberto leise.
»Ich kann euch sagen, was es
nicht
war«, sagte John. »Es war gewiss kein Eisbär. Und ein Mensch war es auch nicht. So etwas wie das da ist mir noch nie im Leben untergekommen, und ich habe weiß Gott schon einen Haufen Scheiße gesehen.«
»Ist es … weg?« Hiroki kauerte zwischen John und Ilka und machte den Eindruck, als wäre er am liebsten unsichtbar.
»Sieht so
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