Valhalla: Thriller (German Edition)
angekommen, schloss er die Tür und legte die Kette vor. Endlich allein. Kurz das Notebook aufgeklappt und geschaut, ob die Mail durchgegangen war. Alles bestens. Siebert schaltete den Fernseher ein und hatte es sich gerade auf dem Bett gemütlich gemacht, als es an die Tür klopfte.
»Herr Siebert? Ich bin’s, Hakan. Ich habe Ihr Sandwich.«
»Ich komme, Hakan, einen Moment.« Rasch stellte er den Ton leise und stand auf. Er entfernte die Kette und wollte dem Barmann für seine Aufmerksamkeit danken, als dieser ihm die Tür ins Gesicht trat. Der Schlag war so heftig, dass Siebert nach hinten taumelte. Der Schmerz ließ ihn fast erblinden. Sterne explodierten in seinem Kopf. Dort, wo seine Nase sein sollte, befand sich eine glühende Supernova. Seine Hand fuhr ins Gesicht und berührte das zermalmte Nasenbein. Er schrie auf. Seine Beine gaben nach. Mit einem schwachen Wimmern sank er auf die Knie. Wie durch einen Schleier sah er, wie Hakan das Zimmer betrat. Hakan? Nein, der Mann war eindeutig größer. In seiner Hand hielt er etwas, aber das war gewiss kein Teller.
»Ha…kan?«
»Guten Abend, Doktor Siebert«, sagte der Mann, nun nicht mehr mit der Stimme des Barkeepers, sondern seiner eigenen.
Langgezogene Vokale, osteuropäischer Akzent. Der Mann aus der Bar. Und das Ding in seiner Hand war eine Pistole.
Siebert atmete schwer. »W… was w…wollen Sie?«
»Nur die Ruhe.« Der Mann schloss die Tür und legte die Kette vor. »Wo sind die Aufnahmen, die du heute gemacht hast?«
»A… Aufnahmen?«
»Die Fotos. Aus dem Bundesarchiv. Wo sind die?«
Woher wusste der Kerl davon? Siebert traute sich nicht zu fragen. Die Mündung der Waffe war genau auf seinen Schädel gerichtet. War das ein Schalldämpfer vorne auf dem Lauf?
»Da … da drüben.« Er deutete in Richtung seines Schreibtischs.
»Das Notebook?«
Siebert nickte. Seine Nase war eine glühende Esse.
In diesem Moment klopfte es an die Tür. »Herr Siebert, hier ist Hakan. Ich habe Ihr Abendessen.«
Siebert spürte einen scharfen metallischen Schmerz an der Schläfe. Der Fremde drückte ihm den Lauf der Waffe an den Kopf und hielt dabei den Finger auf seine Lippen gepresst. In seinen Augen war eine unverhohlene Drohung zu sehen. Siebert unterdrückte den Wunsch zu schreien. Er wusste, dass das seinen sofortigen Tod bedeutet hätte.
»Herr Siebert?«
Der Druck der Waffe erhöhte sich.
Siebert wusste nicht, was schlimmer war: der Schmerz oder seine Hilflosigkeit. Wenn er Hakan doch nur irgendein Zeichen geben könnte. Aber der Moment verstrich, und er konnte hören, wie der Hotelangestellte zurück zum Aufzug ging. Eine einzelne Träne lief über Sieberts Wange.
»Gut gemacht, Bürschchen. Bist heller, als ich dachte.« Der Kerl griff sich den Laptop, nahm auch den Tablet-Computer und steckte beides in seinen Rucksack. Die Pistole blieb auf Sieberts Kopf gerichtet. »Die Kamera?«
»I… in meinem Koffer.«
Mit präzisen, kraftvollen Schritten durchquerte der Kerl den Raum und durchwühlte den Trolley. Mit nur wenigen Handgriffen hatte er sie gefunden. »Die hier?«
Siebert nickte.
Rasch wurde alles im Rucksack verstaut. »War’s das?«
»Wie meinen Sie …?«
»Ob das alles war?« Der Typ kam wieder bedrohlich nah, die Waffe direkt gegen seine Schläfe gerichtet.
»Ob das alle Fotos waren? Ja, das waren alle. Hab sonst keine mehr.«
»Handy?«
»Können Sie haben, liegt da drüben neben dem Telefon. Ist aber nichts drauf.«
»Na gut.« Der Mann griff sich ins Gesicht, nahm Brille, Perücke und Bart ab und verstaute alles in seinem Rucksack. Siebert vergaß vor Entsetzen zu atmen. Eine gefälschte Identität. Der Mann, der darunter zum Vorschein kam, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Kerl an der Bar. Niemand würde ihn erkennen, wenn er das Hotel verließ.
»Wer sind Sie?«, stammelte er. »Was wollen Sie? Ich verlange eine …«
»Schnauze.«
Der Knall war leise und trocken und tötete Wolfram Siebert auf der Stelle.
7
D ie Boeing 737, die im Auftrag der Fluggesellschaft
Norwegian Air Shuttle
von Oslo nach Longyearbyen durch die winterliche Nacht glitt, war nur zur Hälfte besetzt. Arbeiter, Familienangehörige, ein paar Touristen mit Taschen, auf denen der Name eines größeren Reiseveranstalters zu lesen war. Der Flug war um 22:30 Uhr gestartet und würde planmäßig auf Spitzbergen um 01:25 Uhr eintreffen. Hannah war viel zu aufgeregt, um schlafen zu können; so versuchte sie, den Flug zu nutzen, um sich ein paar
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