Valhalla: Thriller (German Edition)
stockfinster, sah man mal von einem bläulichen Schimmer knapp über dem Horizont ab. Richtig, dachte sie, Polarnacht. Wie manche Menschen das bloß aushielten?
Sie setzte sich auf, streckte die Arme und gähnte herzhaft. Keine Frage: Sie war ausgeruht und munter. Sie brauchte nicht mehr so viel Schlaf wie früher. Ein leichtes Ziehen im Bauch, verspannte Schultern, das war alles, was von der beschwerlichen Fahrt übrig geblieben war. Selbst den Jetlag steckte sie inzwischen ganz gut weg.
In Rekordzeit hatte sie sich gewaschen und angezogen und machte sich auf den Weg zum Frühstück.
Edda, die Wirtin, war eine kräftige, rotbäckige Frau mit wallend roten Haaren und einem Faible für schräge Pullover. Das Ding an ihrem Körper schien aus Unmengen von Wollresten gefertigt zu sein und war eine Beleidigung für das Auge. Andererseits passte es zu ihrem Charakter, denn die Frau war selbst laut, fröhlich und völlig chaotisch.
Nachdem Hannah zwei Spiegeleier mit Brot verdrückt und eine dritte Tasse Kaffee getrunken hatte, hatte sie Edda bereits in ihr Herz geschlossen. Mit ihrer Vorliebe für schräge Farben und Muster bot sie eine willkommene Abwechslung zu der spartanisch eingerichteten Herberge, in der alle Gegenstände aus demselben fleckigen Kiefernholz zu bestehen schienen. Außer ihr waren noch drei weitere Gäste im Frühstücksraum. Alles Russen, wie es schien. Vermutlich war das auf Spitzbergen schon ein Volksauflauf. Hannah beendete ihr Frühstück und wollte gerade aufstehen, als Edda angesaust kam und ihr etwas in die Hand drückte.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte sie in holperigem Englisch. »Ich habe noch etwas für Sie. Ich wollte es Ihnen eigentlich eher geben, aber gestern Nacht war es zu spät, und heute Morgen habe ich es vergessen. Zu viel zu tun. Sie sehen ja, was hier los ist.«
Hannah blickte auf den Zettel, den Edda ihr hinhielt. Er kam ohne Umschlag und war für jedermann gut zu lesen. Oben das Logo einer Forschungseinrichtung, darunter die handschriftliche Notiz, dass das Team bereits aufgebrochen und vor Ort sei. Die Nachricht endete mit der trockenen Aufforderung, sie solle sich zur Verfügung halten. Unterschrieben war das Ganze mit:
beste Grüße, Leif Gjertsen, Einsatzleiter.
Hannah las die Botschaft ein zweites Mal.
Was für eine Enttäuschung. Das Team war bereits aufgebrochen, ohne auf sie zu warten? Die wussten doch, wann ihr Flug eintreffen würde. Sie presste die Lippen zusammen.
Edda warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. »Beschissener Start auf unserer kleinen Insel, nicht wahr?« Sie zuckte die Schultern. »Ich hab’s gelesen, ließ sich nicht vermeiden. Sie haben es vorgestern abgegeben.«
»Was soll ich denn jetzt machen?« Hannah hätte am liebsten gleich wieder ihre Sachen gepackt und den nächsten Flieger zurück genommen. Aber Edda lächelte und sagte: »Mach dir nichts draus, hier gehen die Uhren eben etwas anders. Schau dir unsere wunderbare kleine Stadt an, lauf ein bisschen herum und erkunde die Gegend. Ich würde dich ja begleiten, aber du siehst ja, was hier los ist.« Sie kam etwas näher und flüsterte Hannah ins Ohr. »Schon komisch, um diese Zeit habe ich fast nie Gäste. Diese Russen sind wirklich merkwürdige Typen. Sind normalerweise alle drüben in Barentsburg, keine Ahnung, warum sie sich jetzt hier breitmachen. Na, wie auch immer: Ich empfehle dir einen Besuch in der Kirche. Da gibt es immer guten Kuchen. Und lass den Kopf nicht hängen, es wird sich schon alles finden, das tut es immer.« Mit einem Lachen drehte sie sich um und versorgte die Russen mit frisch gebrühtem Kaffee.
Hannah ging noch einmal kurz auf ihr Zimmer, versuchte erst Stromberg, danach John über Handy zu erreichen, gab aber auf, als sie merkte, dass ihr Provider die Verbindung nicht zustande brachte. Vielleicht musste sie an den Einstellungen etwas verändern, doch das konnte warten.
Sie zog sich warm an, setzte Mütze und Kapuze auf, winkte Edda zum Abschied und verließ das Hotel.
Draußen war es mittlerweile etwas heller geworden. Nicht so hell wie an einem wolkenverhangenen Tag, aber doch ausreichend, um ein paar Einzelheiten erkennen zu können. Über der schneebedeckten Landschaft mit ihren Bergen und Eisflächen wölbte sich ein blau-schwarzer Himmel. Die Luft war klar und kalt. Ein eisiger Wind pfiff durch die Straßen und sorgte dafür, dass die Menschen mit eingezogenen Köpfen die nächstgelegene Behausung aufsuchten. Die meisten waren sowieso auf vier
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