Valhalla: Thriller (German Edition)
ist aber nicht die Windstärke, sondern die Richtung. Käme der Wind von vorne oder von hinten, könnten wir tatsächlich noch starten und landen, doch in diesem Fall haben wir es mit einer atypischen Richtung zu tun.« Er zuckte die Schultern. »Schiffe lassen sich in den Wind drehen – Landebahnen nicht. Jedes Flugzeug hat eine individuelle maximal zugelassene Seitenwindkomponente. Die Neigungstoleranz liegt bei der Hercules zwar sehr hoch, aber eben nicht hoch genug, um bei diesem Wetter zu starten. Sollte eine der Tragflächen beim Start den Boden berühren, ist es aus. Ein Risiko, das ich unseren Leuten nicht zumuten werde.«
»Und wie lange noch, bis sich daran etwas ändert?«
»Laut aktuellem Wetterbericht müssen wir noch mindestens fünf Stunden warten, bis der Orkan über uns hinweggezogen ist. Dann werden wir sofort starten.« John stöhnte. »Fünf Stunden. Bis dahin könnte es bereits zu spät sein.«
»Zu spät, wofür?« Der Major runzelte die Stirn. »Was ist eigentlich los bei euch da oben?«
»Fragen Sie nicht.«
*
Hannah rang nach Luft. Ein schneidender Schmerz fuhr ihr durch Lunge und Augen, als habe ihr jemand Chilipulver ins Gesicht geblasen. Sie bekam kaum noch Luft. Hals und Brust brannten wie Feuer.
Wasser, sie brauchte Wasser. Wo gab es etwas zu trinken?
Der Kragen schnürte ihr die Luftzufuhr ab. Mit nervösen Fingern zerrte sie an ihrem Overall, doch das Öffnen des Reißverschlusses brachte kaum Linderung. Sie griff nach ihrer Feldflasche und wollte sie gerade an ihre Lippen setzen, als die Zuckungen anfingen. Spasmische Kontraktionen der Arm- und Beinmuskulatur, als hätte sie einen Stromschlag erhalten. Die Flasche entglitt ihren Fingern und fiel scheppernd zu Boden, rollte ein paar Treppenstufen hinab und verlor dabei ihren Inhalt. Hannah stieß ein unartikuliertes Stöhnen aus. Sie brauchte etwas zu trinken. Jetzt.
Ein erneutes Zucken riss ihr die Beine unter dem Körper weg. Sie schlug derart hart auf der Erde auf, dass sich ihre Handgelenke wie zerschmettertes Glas anfühlten. Sie schrie auf. Tränen rannen ihr über die Wangen. Normale Fortbewegung war ausgeschlossen, aber vielleicht konnte sie ja kriechen. Wenigstens das schien noch zu funktionieren. Besser als gar nichts.
Wo war sie? Es war beinahe unmöglich, das Blickfeld zu stabilisieren. Immer wenn sie glaubte, einen Fixpunkt gefunden zu haben, fing dieser sofort wieder an, aus ihrem Sichtbereich hinauszuwandern. Die permanente Überlastung des Augenmuskels sorgte für quälendes Pochen im Schläfenbereich.
Das Schlimmste waren die Unterleibschmerzen: dieses unerträgliche Ziehen vom Schambein aufwärts zum Bauchnabel, als würde sie bei lebendigem Leib ausgeweidet.
Um sie herum herrschte das Chaos. Menschen, die verrenkt und gekrümmt auf dem Boden lagen, nach Luft rangen oder einfach nur besinnungslos durch die Gegend taumelten. Die Luft war gesättigt mit dem Gestank nach Kot und Erbrochenem. Ein widerwärtiger Geruch, der nur noch übertroffen wurde von dem Gestank nach Blut.
Blut, das aus unzähligen Wunden sickerte. Aus Nasen, Mündern, Ohren und anderen Körperöffnungen. Süßlich, widerlich und allgegenwärtig.
Hannah musste würgen. Hätte sie noch irgendetwas im Magen gehabt, sie hätte sich erneut übergeben, doch so brachte sie nur einen dünnen, gelblichen Schwall Magensaft hervor, der ihre Kehle verätzte und einen ekelhaften Geschmack im Mund hinterließ.
Wasser.
Wo war diese vermaledeite Flasche? Eben war sie doch noch da gewesen. Wenn sie bloß ihr Blickfeld stabilisiert bekäme. Alles schien zu kreisen. Was war denn das da unten am Ende der Stufen? Im kalten Licht der Gaslaternen sah sie etwas blinken. Etwas Metallisches.
Mit ungelenken Bewegungen kroch Hannah die Stufen hinunter. Ihre Handgelenke brannten wie Feuer. Der Druck in ihrem Schädel war mörderisch. Schlimmer als jeder Anfall von Migräne, den sie bisher erdulden musste. Und das waren schon einige gewesen. Beim leisesten Anzeichen von Augenflimmern trank sie einen starken Kaffee und nahm eine hochdosierte Ibuprofen-Tablette, das hatte bisher immer gewirkt. Das Problem war nur: In ihrem Zustand hätte sie nichts bei sich behalten können. Und dabei gehörte sie noch zu den wenigen, denen es halbwegs gutging.
Die letzten Stunden waren die pure Hölle gewesen. Ein Anfall nach dem anderen. Nach Moreau und dem bemitleidenswerten Kameramann hatte es Steve erwischt – und damit den Einzigen, der sich in Sachen medizinischer
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