Valley - Tal der Wächter
Leidenschaften künftig zu zügeln. Aber erst einmal müssen wir hier aufräumen!«
Hord lag flach auf dem Boden, blinzelte verständnislos und machte stumm den Mund auf und zu wie ein Fisch auf dem Trockenen. Statt seiner fing Ragnar, ein Tuch auf die Wange gedrückt, an, sich lautstark zu beschweren. »Und was ist mit Hal?«, rief er heiser. »Was ist mit seiner Tat? Wo bleibt seine Strafe?«
Der Blick, mit dem ihn Helga bedachte, war kühl und verächtlich. »Du kannst für deine Anschuldigung nicht den geringsten Beweis vorlegen, und die Ehre deines Hauses ist dermaßen befleckt, dass ich mich nicht veranlasst sehe, dir auch nur ein Wort zu glauben.Wenn du den Rat noch ein Mal mit dieser Angelegenheit behelligst, verhänge ich noch mehr Strafen über euer Haus.«
Ragnar starrte Helga wie vor den Kopf geschlagen an, dann wanderte sein Blick zu Hal hinüber, der ihm vergnügt aus einer Ecke der Halle zuzwinkerte. Ragnar beugte sich mit steinerner Miene zu seinem Vater hinunter. Hord hatte sich auf die Knie aufgerappelt, schien aber Schwierigkeiten zu haben, wieder richtig auf die Beine zu kommen. Seine Nase, mit der er auf den Boden geknallt war, war rot und geschwollen. Davon abgesehen schielte er. Aber als er schließlich den Mund aufmachte, klang seine Stimme klar und fest. Alle konnten ihn verstehen.
»Es ist allseits bekannt, dass die Urteile des Rates oft sehr weibisch halbherzig ausfallen und eher dem Wunsch nach Frieden als dem Wunsch nach Gerechtigkeit entspringen. Aber Helgas Schiedsspruch hat in dieser Hinsicht einen neuen Tiefpunkt erreicht. Seht dort – der Mörder meines Bruders kommt ungeschoren davon, wogegen ich noch dankbar dafür sein soll, ihn und sein Haus bereichern zu dürfen! Nun, ich erkenne diesen Schiedsspruch nicht an. Nehmt zur Kenntnis, dass ich den Svenssons nicht eine Erdkrume abtreten werde! Nehmt zur Kenntnis, dass wir uns gegen jeden, der versucht, dieses Urteil durchzusetzen, mit Waffengewalt zur Wehr setzen werden. Und nehmt nicht zuletzt zur Kenntnis, dass ich mich an den Svenssons rächen werde, noch ehe ein Jahr um ist, vor allem an diesem kümmerlichen Zwerg, der mich von dort drüben frech angrinst. Es wird keinen Frieden in unserem Tal geben, ehe dieser Schuft nicht in seinem Hügelgrab hockt, und ich schwöre dies beim großen Hakon, dem bedeutendsten aller Helden. Und jetzt gehe ich, und ich möchte jedem davon abraten, mich aufhalten zu wollen. Ich danke den Rurikssons für ihre Gastfreundschaft.«
Alle hatten ihn gehört. Niemand rührte sich, als er, von seinem Sohn gestützt, mit schmerzverzerrtem Gesicht aufstand. Alle wichen mit scharrenden Stiefeln zurück, als die Hakonssons schwankend dem Ausgang zustrebten. Hord ging gebeugt, seine Nase war dick geschwollen. Ragnars zerkratzte Wange war blutverschmiert. Die beiden stießen die Türflügel weit auf. Dann waren sie fort und helles Tageslicht strömte herein.
In Ruriks Halle blieb es noch einen Augenblick still. Dann atmeten alle auf.
Leif und Astrid sahen einander fassungslos an. Dann drehten sie sich gleichzeitig nach Hal um.
Der klatschte fröhlich in die Hände. »Na«, sagte er, »das ist ja richtig gut gelaufen!«
19
Es dauerte nicht lange, da war Svens Haus wohlhabend und prächtig anzuschauen und Sven selbst desgleichen. Er gewöhnte sich an, edelsteinbesetzte Broschen, Armreife und Ringe sowie teure Mäntel aus dem Untertal mit eingewebten kunstvollen Mustern zu tragen. Händler, die derlei Schätze anbrachten, waren in seiner Halle stets willkommen, andere Besucher dagegen – von seinem Reichtum angelockte Bettler und Vagabunden – erregten seinen Zorn.
Sven ließ an den Grenzen seiner Gemarkung Grenzpfosten aufstellen. Innerhalb dieses Gebiets war sein Wort Gesetz. Er ließ sich eigens einen geschnitzten Sessel anfertigen und auf ein Podium in der Halle stellen und von diesem Richterstuhl aus sprach er Recht über Diebe, Tunichtgute und andere Bösewichte. Seine Urteile waren drakonisch, und nicht viele wagten es, dagegen zu verstoßen. Ein im Hof aufgestellter Galgen sorgte dafür, dass seine Erlasse nicht in Vergessenheit gerieten.
Noch etliche Zeit nach dem Aufbruch der Hakonssons herrschte in Ruriks Halle rege Geschäftigkeit. Während die Diener zerschlagenes Mobiliar hinausschleppten und einige Gäste sich zurückzogen, um ihre Schrammen und blauen Augen zu versorgen, setzten sich die Schiedsleute des Tales, unter ihnen auch die Schiedsherrin Astrid, zusammen und besprachen die
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