Valley - Tal der Wächter
Hühner. Nachmittags saß sie mit Gudny bei Astrid und hörte ihr beim Erzählen der alten Heldengeschichten zu. Aber sie hatte auch Zeit zu ihrer freien Verfügung, und nicht wenigen fiel auf, dass sie diese Zeit am liebsten mit Hal verbrachte. Man konnte die beiden häufig bei ihren vertrauten Gesprächen lachend und angeregt diskutierend beobachten.
Nicht lange nach Mittwinter erreichte das Wüten der Stürme seinen Höhepunkt. Niemand ging mehr nach draußen. In der Halle roch es nach Rauch, schalem Bier und Schweiß. Die Stimmung wurde immer gereizter, die Spannung bei den Mahlzeiten stieg ins Unerträgliche, der kleinste Zwischenfall konnte böse Wutausbrüche auslösen. So ging das jeden Winter, aber dieses Jahr war es besonders schlimm. Die Drohung der Hakonssons machte den Leuten immer noch zu schaffen, außerdem stand inzwischen fest, dass Arnkel sehr krank war. Er verließ das Bett nicht mehr.
Hal, der ganz von seinen Träumen, die Hügel zu erforschen, in Anspruch genommen war, hielt sich nach Möglichkeit im Hintergrund und flüchtete sich in das Zusammensein mit Aud.
Eines Vormittags half er seiner Mutter in einer Ecke der Küche beim Multbeereneinmachen. Astrid hatte das Haar mit einem groben Hanfschal aus dem Gesicht gebunden und die Ärmel aufgekrempelt. Ihre Unterarme waren vom Quetschen und Rühren rot gefleckt. Sie war grau im Gesicht, weil sie die ganze Nacht am Bett ihres Mannes gewacht hatte. Sie beaufsichtigte Hal dabei, die kochend heißen Beeren in dickwandige Tontöpfe zu schöpfen, und rief zwischendurch den Mägden, die schon das Mittagessen vorbereiteten, quer über die Tische Anweisungen zu.
Aud war nur einmal kurz hereingekommen, um einen Krug Dünnbier für die Frauen im Webzimmer zu holen.Als sie wieder draußen war, bemerkte Astrid: »Ein nettes Mädchen, diese Aud.«
Hal nickte. »Ja, Mutter.«
»Ziemlich klug und auf ihre Weise sogar recht hübsch. Der Topf ist voll. Jetzt leg das Seihtuch darüber. Ich binde die Schnur darum. Mir ist aufgefallen, dass du dich gut mit ihr verstehst.«
»Mit Aud? Stimmt, Mutter.«
»Fester spannen! Ja, so. Würdest du ihr gern beiliegen? Huch – jetzt hast du den Stoff zerrissen! Du kannst deine Kräfte einfach nicht richtig einschätzen, Hal, und um Svens willen, jetzt werd doch nicht so rot! Ich bin deine Mutter, ich darf so etwas fragen. Komm, wir tauschen. Ich spann das Tuch und du bindest die Schnur drum. Schneid das Ende mit dem Messer ab. Gut. Also, wenn dir die Vorstellung peinlich ist, macht das gar nichts, schließlich bist du mit vierzehn noch kein richtiger Mann. Dein Bruder Leif ist ganze vier Jahre älter als du, Hal, und ich muss mich allmählich nach einer Frau für ihn umschauen. Ich habe ihm gesagt, er soll sich Aud mal näher ansehen. Reich mir bitte den nächsten Topf rüber, den da drüben. Natürlich ist Arnes Haus keines der besseren, aber Aud ist ein Einzelkind, und das ist auch nicht zu verachten. Mit so einer Heirat könnten wir die beiden Häuser zusammenführen. Warum rührst du nicht mehr?«
Hal rührte geistesabwesend weiter. Seine Mutter wies eine Magd an,Arnkel eine Schüssel Fleischbrühe aufs Zimmer zu bringen. Als sie sich wieder zu ihm umdrehte, sagte Hal: »Vielleicht will Aud ja noch gar nicht heiraten.«
»Nächstes Frühjahr wird sie fünfzehn. Als ich so alt war, hab ich deinen Vater kennengelernt. Selbstverständlich denkt sie da ans Heiraten! Ich möchte, dass du das arme Mädchen in Frieden lässt, Hal – lass Leif denVortritt. Er hat’s nicht so mit den schönen Worten, da kann er es am allerwenigsten gebrauchen, dass du die ganze Zeit wie ein Wiesel um ihn herumschleichst, wenn er versucht, die Kleine für sich einzunehmen.«
»Ich brauche mir gar keine Mühe zu geben, ihn daran zu hindern, Mutter. Sollte es ihm gelingen, zwei Sätze herauszubringen, ohne sich zu verhaspeln, hätte er meine Erwartungen schon weit übertroffen.«
Seine Mutter verpasste ihm eins mit der Schöpfkelle auf den Kopf. »Siehst du, und wegen solcher Bemerkungen sollst du den beiden aus dem Weg gehen. Ich könnte mir ohnehin vorstellen, dass Aud inzwischen genug von dir hat. Sie macht mir einen ausgesprochen empfindsamen Eindruck. Du dagegen bist ein gewalttätiger Mörder. Ich bezweifle, dass sie viel mit dir anfangen kann.«
Nachdem seine Mutter ihm das auseinandergesetzt hatte, musste Hal natürlich dringend mit Aud sprechen, aber andauernd wurde er von Eyjolf mit irgendwelchen langwierigen, verzwickten
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