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Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Feldsteinhütte. Dort ließ sich Hal häuslich nieder, aß Multbeeren, trank Schafsmilch und holte sich Wasser aus einer Quelle. Alle paar Tage brachte ihm ein Junge Brot, Käse, Fleisch und Obst herauf. Ansonsten war er mutterseelenallein.
    Um nichts auf der Welt hätte Hal seinemVater eingestanden, dass er sich in dieser Einsamkeit fürchtete, aber er tat es, denn über ihm am Horizont ragte die düstere Kette der Hügelgräber empor.
    Am oberen Rand der Weide hatte man eine Steinmauer errichtet, die sich quer über den Hügelkamm zog. Sie sollte die Schafe davon abhalten, noch weiter hinaufzusteigen, dorthin, wo die Gräber waren, und nicht nur die Schafe, sondern auch die Menschen. Hal stand oft an dieser Mauer und spähte zu den Steinhaufen empor, die man auf dem Buckel des Hügels eben noch erkennen konnte. Manche waren hoch und schmal, andere geduckt und breit, wieder andere krumm und schief. Jeder von ihnen barg den Leichnam eines seinerVorfahren. Sie sollten Sven dabei unterstützen, die Grenze gegen die bösen Trolde zu verteidigen. Noch im hellsten Sonnenschein wirkten sie düster, hielten finster und unverrückbar Wacht. An diesigen Tagen lastete ihre Gegenwart wie ein grauer Schleier auf Hals Stimmung. Am späten Nachmittag wich er ihren lang gezogenen schwarzen Schatten sorgfältig aus, damit er nicht womöglich troldsiech wurde.
    Nachts lag er in der stockfinsteren, totenstillen Hütte, in der es nach Erde und nach seiner Wolldecke roch, und malte sich aus, wie weiter oben die Trolde übers Moor schlichen, die Grenze belauerten und nach seinem Fleisch lechzten... Dann kam ihm die Grenze wenig vertrauenerweckend vor. Trotzdem dankte er flüsternd seinen Vorfahren für ihre Wachsamkeit und zog die Decke über den Kopf, bis ihn der Schlaf übermannte.
    Mochten Hals Nächte auch bedrückend sein, tagsüber hatte man hier oben ein herrliches Leben. Zum ersten Mal, seit Hal denken konnte, durfte er tun und lassen, was er wollte. Niemand erteilte ihm Aufträge, niemand bestrafte ihn. Er war weit entfernt von den missbilligenden Blicken seiner Eltern und musste weder im Haus noch auf dem Feld irgendwelche eintönigen Arbeiten verrichten.
    Stattdessen lag er im Gras und träumte von großen Taten. Von Taten, die Sven in ferner Vergangenheit vollbracht hatte, und Taten, die er selbst eines Tages zu vollbringen gedachte.
    Während die Schafe friedlich grasten, betrachtete Hal die Landschaft unter sich, folgte mit dem Blick den braungrünen Furchen von Svens Feldern, die zur Mitte des Tales hin, wo er noch nie gewesen war, sanft abfielen. Dort verlief, wie er wusste, die große Straße am Fluss entlang, bis nach Osten, vorbei an den Stromschnellen und sogar noch weiter.Auf der gegenüberliegenden Flussseite erhoben sich bewaldete Steilhänge. Die gehörten schon zu Ruriks Haus. Manchmal sah Hal dort Rauch aus den Schornsteinen aufsteigen und über den fernen Bäumen schweben.Wie Svens Hügelkette war auch die von Rurik von Grabhügeln gesäumt. Dahinter sah man in der Ferne die grauen Hänge und weißen Gipfel der Berge – einen Abschnitt der hohen, lückenlosen Felswände, die das Tal im Norden, Süden und Westen einschlossen.
    Vor langer, langer Zeit hatte der heldenhafte Sven das alles erforscht. Mit dem Schwert in der Hand durchwanderte er das Tal vom Steilgebirg bis zum Meer, kämpfte gegen Trolde, erschlug Banditen und erwarb sich seinen Ruhm.
    Jeden Morgen beobachtete Hal, wie die Sonne über der schroffen Silhouette des Eckzahns aufging, das war der Granitfelsen, der die Sicht auf das Untertal versperrte. Eines Tages würde auch er zu einer großen Wanderung aufbrechen – am Eckzahn vorbei und durch die Schlucht talabwärts, immer auf der Suche nach Abenteuern, genauso wie Sven damals.
    Bis dahin musste er sich aber erst mal um die Schafe kümmern.
    Hal hatte nichts gegen die Schafe, eine zähe Bergrasse mit schwarzen Gesichtern und drahtiger Wolle. Sie konnten im Allgemeinen gut auf sich selbst aufpassen. Einmal fiel ein Einjähriges in eine Felsspalte und musste herausgezogen werden. Ein andermal brach sich ein Mutterschaf beim Sturz von einem Felsen den Vorderlauf. Hal legte dem Tier eine Schiene aus einem Ast und einem Streifen Stoff von seiner Jacke an und ließ es wieder davonhumpeln. Aber nach ein paar Wochen wurde er der Gesellschaft der Schafe überdrüssig und seine neue Aufgabe langweilte ihn zunehmend. Er verbrachte immer mehr Zeit damit, bergauf zu spähen – dorthin, wo die Hügelgräber

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