Valley - Tal der Wächter
sie beinahe das Leben gekostet. Einmal wäre Hord selber fast in einen Abgrund gestürzt, aber sein Sohn konnte ihn am Arm festhalten und wieder herausziehen. Sie haben keinen Mann verloren und nur drei haben Verletzungen davongetragen. Es klang ganz danach, als hätten sie Großes vollbracht, wie es der alten Helden würdig gewesen wäre. Jedenfalls haben sie großen Mut bewiesen.«
Leif, der mit hervorquellenden Augen zugehört hatte, konnte sich nicht mehr beherrschen. »Die sind doch verrückt!«, schrie er. »Das ist der reine Irrsinn! Was wollen sie bloß damit erreichen?«
»Sie wollen uns und die anderen im Schlaf überraschen«, antwortete Hal mit finsterem Blick. »Um diese Jahreszeit rechnet noch kein Mensch mit ihnen! Wenn es erst getaut hat, die Schneeschmelze vorbei ist und der Rat im Frühjahr zusammenkommt, ist es längst passiert. Dann haben sie unser Haus erobert oder niedergebrannt, Hord und Ragnar herrschen über unseren Besitz und lassen sich noch weniger als vorher etwas von irgendwelchen anderen Häusern vorschreiben. Es ist tatsächlich ein kühnes Abenteuer, ich hätte ihnen so etwas nicht zugetraut. Aber erzähl erst zu Ende, Snorri.«
»Moment mal!«, rief Leif entrüstet. »Wer hat hier das Sagen?«
Hal zuckte die Achseln. »Ach richtig. Bitte...«
»Erzähl zu Ende, Alter«, sagte Leif förmlich.
»Die zwanzig Mann übernachteten in meiner Hütte, wobei immer einer Wache hielt. Am nächsten Morgen zogen zehn von ihnen zu den Rurikssons, um Pferde zu beschaffen. Als sie wiederkamen...«
»Augenblick«, unterbrach ihn Hal, »willst du damit sagen, dass sie die Tiere geklaut haben?«
Snorri schnalzte mit der Zunge. »Na ja, es hörte sich eher so an, als hätten die Rurikssons die Pferde bereitgestellt.«
Daraufhin ertönten überall in der Halle erschrockene und zornige Ausrufe und die Zuhörer stießen die Stiele ihrer Waffen auf den Boden. Leif wurde aschfahl im Gesicht. »Demnach hätte sich Hord mit unseren Nachbarn verbündet? Nicht zu fassen!«
»Warum nicht? Bei den Rurikssons gilt eurer Haus schon immer als überheblich und kriegerisch«, sagte Snorri. »Was mir allerdings, wenn ich euch euer Feldgerät schwingen sehe, wie ein gewaltiger Trugschluss vorkommt. Wie dem auch sei, sie kamen mit zwanzig Pferden wieder. Eigentlich wollte Hord euch schon letzte Nacht überfallen, aber seine Leute waren noch zu erschöpft und stimmten dafür, bis heute Abend zu warten. Die Rurikssons hatten ihnen auch Bier mitgegeben, das tranken sie und wurden lustig. Da hab ich die Gelegenheit genutzt, mir ein Pferd ausgeborgt und bin sofort hierher geritten.«
»Dann wissen sie doch bestimmt, dass wir gewarnt sind«, wandte Hal ein.
»Nein. Ich bin nach Osten geritten, als würde ich in Richtung Schlucht abhauen, und habe unterwegs viele Spuren hinterlassen. Erst nach vier Meilen bin ich abgebogen und in weitem Bogen zu euch geritten. Damit sind wir jetzt hoffentlich quitt, Hal Svensson.«
»O ja! Mehr als quitt. Wir verdanken dir unser Leben, Snorri.«
Sie schüttelten sich herzlich die Hände. Aus der Menge rief jemand: »Das ist ja alles sehr rührend, aber sollten wir nicht etwas unternehmen? Sonst sind wir heute Abend alle tot.«
»Sehr richtig«, pflichtete ihm Leif bei und räusperte sich. »Runter vom Podest, Hal – und du auch, Alter. Hört gut zu, Leute. Die Hakonssons werden nicht vor Einbruch der Dunkelheit hier sein. Das verschafft uns einen Vorsprung. Bevor sie eintreffen, sind wir längst weg. Gleich heute Vormittag packen wir zusammen, was wir tragen können. Alles Übrige machen wir unbrauchbar oder verbrennen es. Wir nehmen so viel Vieh mit, wie wir treiben können, den übrigen Tieren schneiden wir die Kehle durch, damit sie Hord nicht in die Hände fallen. Heute Mittag ziehen wir dann westwärts in Richtung Gestssons Besitz. Ein paar von euch können vorausreiten und Kar Gestsson vorwarnen. Er soll uns in seiner Halle unterbringen, bis sich alles wieder beruhigt hat. Das wird zwar eng, und manche von euch werden sich mit den Ställen begnügen müssen, aber das ist nun mal nicht zu ändern. Es ist ja nur für ein, zwei Monate. Wenn die Schneeschmelze vorbei ist, können wir den Rat verständigen. Der wird gar nicht erfreut sein und Hord wird uns um Versöhnung bitten müssen. Dann bekommen wir unser Land zurück und noch mehr dazu. Letztlich wird die Gerechtigkeit siegen. So wird’s gemacht!« Leif klatschte in die Hände. »An die Arbeit!«
Er sah sich in der Halle
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