Valley - Tal der Wächter
Panzerhandschuh griff nach dem Schwertknauf. »Deine Frechheit kennt offenbar keine Grenzen!«, knurrte es aus dem Helm. »Du, der du meinen Bruder ermordet, meinen Hof niedergebrannt hast... ausgerechnet du sprichst von Frieden? Wenn ich dich zu fassen kriege, stecke ich deinen Kopf auf einen Pfahl und stelle ihn vor Svens Tor auf!«
»Aha. Also hat es auch keinen Zweck, wenn ich sage, dass es mir leidtut?«
»Nicht den geringsten.«
»Kann ich dich nicht vielleicht doch mit schönen Worten von meiner Sicht der Dinge überzeugen?« Hal hörte jemanden in den Graben herunterschlittern, es klirrte metallisch. Er duckte sich fluchtbereit.
Hords zorniges Knurren war kaum noch zu verstehen. »Die Zeit für schöne Worte ist um, Hal.«
»Auch gut, denn wenn das so ist, kann ich ja endlich verkünden, dass du ein rübengesichtiger Fettarsch bist, ein Vielfraß und Feigling, ein Mann, dessen Weibervolk sich von Hochlandvieh nur dadurch unterscheidet, dass es noch ausladendere Hintern hat!« Während er sprach, drehte er sich um. »Ach ja, und außerdem bist du ein stoppelbärtiger Mörder seiner eigenen Leute, dessen Bruder einen unehrenhaften Tod gestorben ist und dessen Anhänger vor Freude auf den Straßen tanzen werden, wenn er endlich ins Gras...«
Da kam aus den Nebelschwaden ein Krieger geschnellt, scharf umrissen, in Helm und Kettenhemd. Hal erhaschte einen Blick auf Ragnars blasses, zur zähnefletschenden Grimasse verzerrtes Gesicht. Ragnar hieb mit dem Schwert nach Hals Kopf. Hal duckte sich, hörte die Klinge über seinen Scheitel hinwegsausen und trat im selben Augenblick, als sein Gegner noch unter der Wucht des Hiebes schwankte, kräftig zu und beförderte Ragnar kopfüber ins Schilf.
Von der Böschung hörte er Hords donnerndes Zorngebrüll. Der große Mann sprang in den Graben, eine schwarze, rachedürstende Gestalt, und hieb aufs Geratewohl um sich.
Hal aber hatte schon kehrtgemacht und lief eilig durchs hohe Schilf davon. Noch ein Krieger sprang auf, den Pfeil schon auf die gespannte Sehne gelegt. Die Pfeilspitze richtete sich auf den vorbeihastenden Hal.
Hal duckte sich tief. Der Pfeil prallte über seinem Kopf von der Mauer ab.
Er lief immer den Graben entlang, den alten, wohlbekannten Weg, den er gekommen war. Die Verfolger waren ihm zwar dicht auf den Fersen, aber sie kamen nicht so schnell voran wie er, da sie die Windungen des Grabens nicht vorhersahen. Inzwischen schien es von überall her zu knacken, zu tappen und zu rascheln. Noch ein Pfeil sauste durch die Luft und Hords Wutschreie rissen nicht ab.
Auf der Höhe des Obstgartens, nicht weit von der Stelle, an der er von der Mauer gesprungen war, verließ Hal den Graben. Zwischen den Hauswänden sah er noch das zerrissene Netz hängen und eine Leiche steif und verdreht auf den Steinhaufen liegen. Die Verfolger waren schon ganz nah. Hal hechtete über die Torfmauer in den Obstgarten. Nebel waberte zwischen den Stämmen, silbriges Mondlicht schimmerte durchs Geäst. Rasch hatte Hal den Garten durchquert. Am anderen Ende kam hinter der Torfmauer erst ein Feld, dann stieg der Boden sanft, aber stetig bis zum Hügelkamm hin an. Hal blieb stehen und sah sich um.
Nichts. Der Obstgarten war menschenleer. Hal verfluchte sich selbst, seine Brust hob und senkte sich stoßweise. Was trieben diese Schwachköpfe bloß? War es denn zu viel verlangt, ihn zu verfolgen? Musste er allen Ernstes kehrtmachen und sie abholen?
Da stürmten zwischen den Baumreihen dunkle Gestalten aus dem Nebel. Sechs oder sieben waren es, ihre Helme und blanken Klingen glänzten im Mondschein.
Hals Herz schlug vor grimmiger Genugtuung höher. Ausgezeichnet! Jetzt konnte es losgehen!
Er brauchte sie nur noch auf den Hügelkamm zu locken. Er stürmte über das Feld, ließ Häuser und Bäume und alle erkennbaren Konturen hinter sich. Das Feld lag brach, es war schlammig und von Gras überwuchert. Schafe hatten hier geweidet, nachdem sie aus ihren Pferchen herausgelassen worden waren. Der nächtliche Nebel hing dicht über dem Boden, sammelte sich in Mulden und Senken, an wieder anderen Stellen hatte er sich fast völlig aufgelöst. Hal rannte wie der Wind. Ab und zu brach er aus dem Nebel hervor, rannte unter dem leuchtenden Mond dahin, einer silbernen Scheibe, die so hell war, dass sie ihn fast blendete, dann tauchte er wieder in die kalten Schwaden ein, konnte kaum noch den Boden vor seinen Füßen erkennen. Das Feld war holprig, voller Huckel und Grasbüschel, und ein
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