Valley - Tal der Wächter
Art todesmutige Hochstimmung, ein Triumphgefühl angesichts des nahen Untergangs. Bis es so weit war und wenn er ohnehin jeden ins Verderben stürzte, konnte das ebenso gut Hord Hakonsson sein.
Weißer Nebel umwallte ihn. Hal huschte durch Schilf und Gras, immer dicht an der Troldmauer entlang. Irgendwo über ihm schien der Mond, aber sein Licht richtete gegen das wirbelnde Weiß wenig aus, und Hal konnte kaum etwas erkennen. Er folgte blindlings den seit Kindertagen vertrauten Pfaden und bewegte sich Richtung Nordtor. Schon hörte er Bogensehnen surren und hinter der Mauer vereinzelte Rufe und Schreie. Er duckte sich, schlich auf Zehenspitzen weiter und hielt angestrengt nach der Straße Ausschau.
Geradeaus entdeckte er ein verschwommenes rötliches Flackern, von dem er nicht einschätzen konnte, wie weit entfernt es war. Als er näher kam, hörte er es leise knacken und knistern – ein Lagerfeuer.
Um den flackernden Schein drängten sich dunkle Gestalten, die sich abwechselnd bückten und wieder aufrichteten. Helle Feuerklumpen wurden aufgehoben und flogen anschließend in hohem Bogen durch die Luft.
Hal kauerte im Schutz des Nebels und der hohen Schilfhalme in dem ausgedienten Wassergraben und biss sich zornig auf die Lippe. Er zählte durch – es waren fünf Gestalten, vielleicht auch sechs... Wo waren die anderen? Mindestens neun Mann hatten fliehen können. Und vor allem, wo war...
Nicht weit von Hal entfernt, zwischen ihm und dem Feuer, rührte sich etwas im Dunst.
Der Betreffende hatte sich so reglos verhalten, dass Hal ihn nicht bemerkt hatte und ihm nicht aufgefallen war, dass er schon ganz nah bei der Böschung war, die zum Tor hinaufführte. Sie lag höher als der Graben, sodass es den Eindruck machte, als schwebte der Mann in der Luft, ein schwarzer, immer wieder von Dunstschwaden verschleierter Umriss. Hal duckte sich noch tiefer, denn er erkannte ihn sofort. Selbst im trüben Mondlicht waren die breiten Schultern und die bärenhafte Statur unverwechselbar. Am Gürtel trug der Mann, der in einen blinkenden Kettenpanzer gehüllt war, ein langes Schwert. Dort oben stand Hord, ein hochgewachsener, behelmter Krieger, breitbeinig und mit in die Hüften gestemmten Händen. In einer Haltung, die überlegenes Selbstvertrauen ausdrückte, schaute er zur Mauer hinüber. Es wirkte, als wäre einer der alten Helden auferstanden.
Hal kauerte mit nassem Hintern im Matsch und tastete unter seiner Jacke beklommen nach seinen eigenen harmlosen Waffen – dem Messer und der Troldklaue. Er besaß weder Rüstung noch Helm, weder Bogen noch Schwert... Um seine Furcht zu dämpfen, atmete er tief durch. Aber so und nicht anders sollte es sein, nichts sollte ihn belasten.
Außer Svens Gürtel natürlich. Er tätschelte das kalte Metallgeflecht, das sich über seine Brust spannte. Bis jetzt hatte ihm der Gürtel Glück gebracht. Nun musste er seine Dienste ein allerletztes Mal in Anspruch nehmen.
Oben auf der Böschung kam Bewegung in Hord. Ein knapper Befehl ertönte. Die Gestalten um das Lagerfeuer hielten ein. Es wurden keine Pfeile mehr über die Mauer geschossen.
Dann rief Hord mit einer Stimme, die so laut war, dass sich Hal unwillkürlich noch tiefer ins Schilf duckte: »Heda, ihr Leute von Svens Haus! Hört ihr mich? Werft Hal Svensson zum Tor hinaus, dann beenden wir den Beschuss! Werft ihn raus, dann ziehen wir ab und kommen nie mehr wieder! Andernfalls müsst ihr in eurer eigenen Halle verbrennen!«
Hord wartete. Der Wind trug beißenden Qualm heran, der Nebel wurde schon ganz schwarz. Doch von jenseits der Mauer kam keine Antwort.
Hord brummte ärgerlich und wandte sich um, wollte seine Männer auffordern weiterzumachen.
Da stand Hal aus dem Schilf auf, die Daumen unbekümmert in den Gürtel gehakt. »Heda, Hord!«
Als sein Ruf verklang, war die folgende Stille eine andere als zuvor. Die Nacht selbst schien die Ohren zu spitzen. Hal sah die Gestalt auf der Böschung zusammenfahren. Die Bogenschützen am Feuer standen wie angewurzelt da, die Pechpfeile brannten auf den Bogensehnen herunter.
»Weshalb so schreckhaft?«, fragte Hal belustigt. »Ich bin doch rausgekommen, genau wie du wolltest!«
Wieder herrschte Stille. Hord wandte sich verunsichert nach allen Seiten um, seine Antwort klang gespannt und zaghaft zugleich: »Bist du’s, Hal Svensson?«
»Leibhaftig!«, erwiderte Hal selbstbewusst.
»Wo bist du?«
»Hier, ganz in deiner Nähe. Hier unten im Graben.«
Hord drehte sich um. Seine
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