Valley - Tal der Wächter
ein jämmerliches Aufheulen heran: »Aua! Mein Bein!«
»Das ist Hal«, konstatierte Ragnar.
»Vielleicht hat er sich den Fuß verstaucht!«, sagte Hord hämisch. »Los, kommt!«
Mittlerweile hatten Hal und Aud die Grenze überschritten. Sie spürten es, auch wenn sie nichts sahen. Der Boden war plötzlich angestiegen, auf der Höhe der Grenze aber wieder ganz eben geworden. Zum Glück waren sie nicht versehentlich gegen ein Grab gelaufen.
»Und was machen wir, wenn Hord etwas merkt?«, flüsterte Aud. »Wenn der Mond herauskommt?«
»Dann kommt uns immer noch der Nebel zu Hilfe. Hauptsache, Hord bleibt nicht stehen und überlegt. Soll ich noch mal rufen?«
»Noch nicht. Erst wenn wir einen Felsen gefunden haben.«
»Gut.« Er zögerte. »Du, Aud...«
»Ja?«
»Halt die Ohren offen.«
»Gib acht,Vater!«, sagte Ragnar warnend. »Hier kommt ein Steinhaufen oder eine alte Mauer.«
»Das Gelände steigt an«, warf ein Krieger ein.
Ein anderer meinte: »Wir sind bald oben, Hord.«
»Und wenn schon!«, rief Hord über die Schulter, und sie hörten ihn entschlossen weitermarschieren.
»Aber die Gräber...«
»Wir müssen aufpassen, dass wir...«
»Da vorn! Ich kann ihn hören!« Hords aufgeregtes Flüstern schnitt ihnen wie ein Messer das Wort ab. Die Männer verstummten. Dann hörten sie wieder das Gejammer des Flüchtigen.
»Der Dummkopf hat sich selbst bewegungsunfähig gemacht«, sagte Hord schadenfroh. »Noch ein kleines Stück, Männer, dann haben wir ihn.«
Die sechs Krieger stapften im Gänsemarsch durch Nacht und Nebel, von unterschiedlichen Ängsten und Zweifeln am Gelingen ihres Unternehmens geplagt. Und im Gänsemarsch stapften sie, ohne es zu ahnen, auf Armeslänge an einem Hügelgrab vorbei.
»Sie sind dicht hinter uns«, stellte Hal fest. »Bald haben sie uns eingeholt.«
»Wo ist bloß der verflixte Felsen, bei Arnes Blut!«, schimpfte Aud.
»Weit kann er nicht sein.«
»Wenn doch bloß der Mond... dann könnten wir den Felsen trotz des Nebels erkennen.«
»Wir sind gleich da, aber...« Er stockte.
»Äh, Hal...«
»Schon gut.«
»Ich glaube, ich habe eben...«
»Lass gut sein. Denk nicht drüber nach.« Es klang angespannt und ein wenig piepsig. »Nachdenken ist jetzt das Dümmste, was wir tun können. Wir dürfen nicht stehen bleiben. Geh weiter.«
»Alle Mann stehen bleiben!«, zischte Hord. »Hört mal hin!«
Ragnar und die anderen gehorchten, einer der Männer antwortete: »Ich höre etwas scharren.«
»Scharren?«
»Als ob der Bengel einen Felsen hochklettert.«
»Ich finde, es hört sich eher an, als ob er ein Loch gräbt.«
»Ja schon – aber wo?«, blaffte Hord. »Darum frage ich doch! Ich kann nicht mehr erkennen, wo das Geräusch herkommt. Was meint ihr – von links?«
»Ja...«
»Nein, ich höre was von rechts. Da!«
Stein scharrte auf Stein.
»Ich könnte schwören, dass es auch von links kommt«, meinte jemand. »Aber wie...«
»Sie sind schließlich zu zweit!«, fiel ihm Ragnar ins Wort. »Offenbar haben sie sich getrennt.«
Noch während er sprach, erwachte die Dunkelheit zum Leben. Schwarze silbern gesäumte Wolken glitten plötzlich beiseite und der kalte Glanz des Mondes ergoss sich über die kleine Gruppe. Die sechs grauen Gestalten berieten sich kurz, dann zog einer nach dem anderen sein Schwert.
»Ragnar«, befahl Hord, »du nimmst dir Bork und Olvir und gehst dort lang. Ihr anderen kommt mit mir. Beeilt euch, solange man ein bisschen was sehen kann! Ganz gleich, wer euch über den Weg läuft, erschlagt ihn und bringt mir seinen Kopf.«
Hal und Aud gingen Hand in Hand weiter. Ringsum wogte weißer Nebel, der ihnen unheimliche Laute zutrug: das Ächzen und Seufzen sich hebender Erde.
Aud drehte sich um und erhaschte einen Blick auf eine geduckte Gestalt, die sich von der Seite her an sie anschlich. Dann war die Gestalt wieder im dichten Nebel verschwunden.
Hord stapfte energisch und mit funkelndem Blick durch den Nebel. Das ständige Scharren wurde lauter. Es schien nicht nur aus einer Richtung zu kommen.
Hal drückte stumm Auds Hand.Vor ihnen erhob sich eine wuchtige Silhouette, die den Mond verdunkelte. Der große Felsen! Sie beschleunigten ihre Schritte.
Die Geräusche, denen Ragnars Trupp folgte – das Scharren und das Kullern von Steinchen -, waren verstummt, als sie näher herangekommen waren. Ragnar hob den Arm und ließ seine Männer anhalten. Dabei tropfte wieder Blut aus seiner Wunde auf den Boden.
Der kantige schwarze
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