Valley - Tal der Wächter
redest.«
»O doch!«
Die beiden wichen immer weiter zurück, Stückchen für Stückchen, Fußbreit um Fußbreit. Der Mond verschwand hinter einer Wolke und kam wieder hervor, die Felskuppe verdunkelte sich, leuchtete wieder auf, verdunkelte sich, leuchtete wieder auf. Die grausige Schar rutschte mit steif erhobenen Armen und über das Gestein schleifenden Kniescheiben näher. Ein zähnefletschendes Lumpenwesen löste sich aus der Meute. Aud hieb es mitten im Sprung mit dem Schwert entzwei. Der Oberkörper plumpste hinter ihr in die Tiefe, der Unterkörper prallte dumpf klappernd gegen Hal. Der packte fluchend einen vorstehenden Schenkelknochen und schleuderte das Gerippe weg.
Brodir sagte tadelnd: »Der arme Onkel Onund! Du könntest deinen Vorfahren ruhig ein bisschen mehr Achtung entgegenbringen.«
Hal hieb und stieß mit dem Messer nach den gierig grapschenden Händen. »Wie wär’s mit ein wenig Achtung uns gegenüber?«
»Wir können nichts dafür.Wir sind sein Volk. Wir müssen ihm gehorchen.«
Aud schlug wüst nach allen Seiten um sich. Knochen splitterten, Lumpen zerrissen. Hals Messer verhedderte sich in einem Leichentuch, er spürte jemanden an der Waffe zerren. Voller Panik trat und schlug er um sich, bis auch seine Arme gepackt wurden und ihm jemand die Beine wegzog. Er fiel nach hinten und wurde weggeschleift, um ihn her wimmelte es von schemenhaften Gestalten, die einen tödlich kalten Hauch verströmten. Ein eiskalter Griff schloss sich um seine Kehle. Er würgte und rang nach Atem, aber die Luft war von Verwesungsgestank erfüllt...
Die Knochenhand ließ ihn los, die Gestalten wichen zurück. Hal starrte zu den Sternen hoch.
In Todesangst wälzte er sich zur Seite und kam wieder auf die Beine. Neben ihm stand schwer atmend Aud mit zerrissenen Kleidern und blutender Schwerthand. Ringsum zogen sich die Verstorbenen raschelnd und mit knackenden Gelenken an die Kante des Felsens zurück und ließen sich mit unbeholfenen Bewegungen hinunter. Schädel blinkten, Zähne blitzten ein letztes Mal auf, dann waren sie nicht mehr zu sehen.
Nur Brodir blieb hocken. Er wiegte sich ärgerlich hin und her.
Hal und Aud klammerten sich aneinander. Die Kuppe des mächtigen Felsens war in helles Mondlicht getaucht.
Das Rascheln und Knacken wurde leiser, alles war still.
Da hörte man es auf einmal dröhnend krachen, Felsbrocken polterten herunter. Dann war auch das vorbei. Im selben Augenblick flackerte der Mond kurz auf und erlosch.
»Ihr habt es ja nicht anders gewollt!«, verkündete Brodir.
Eine ganze Weile geschah überhaupt nichts. Weder Hal noch Aud brachten ein Wort heraus. Dann hörte man Schritte, anfangs ganz leise, dann immer lauter und energischer – jemand stapfte über das Moor. Im Takt der Schritte klirrte ein Kettenhemd, und das Ganze wurde lauter und immer lauter, bis der Felsen, der Nebel und sogar die Berge, die das Tal einfassten, davon widerhallten... Dann verstummte der Lärm am Fuß des Steins.
Stille.
Nur Brodir rutschte unruhig hin und her.
Bamm! Ein dumpfer Schlag. Bamm! Noch einmal. Bamm! Jemand kam an der Seite des Steins hochgeklettert und bei jedem Tritt und Griff erbebte er. Hal und Aud drückten sich eng umschlungen aneinander. Der Mond war immer noch wolkenverhangen.
»Auweia!«, flüsterte Brodir. »Jetzt passiert’s.«
Bamm! Ganz dicht unter dem Rand. Dann hörte man das Kettenhemd klirren, hörte Leder unter raschen Bewegungen knarren und jemand landete schwer auf der Felskuppe.
In der darauf folgenden Stille zerfaserten die Wolkenfetzen ein wenig und bleiches Licht erhellte den Felsen.
Das Licht umspielte die Silhouette eines Mannes.
Er war von riesenhafter Statur, noch größer als Hord, Arnkel und die anderen Familienoberhäupter, obendrein war er sogar breitschultriger und kräftiger gebaut als der Schmied Grim. Auf dem Kopf trug er einen wuchtigen Helm. Sein Kopf und seine Brust wurden vom Mond beschienen, aber das Gesicht lag im Schatten und war nicht zu erkennen. Ein stumpfes Glitzern hier und da verriet, dass er ein Kettenhemd mit Arm- und Beinschienen trug. Er stand breitbeinig da und stemmte eine Hand in die Hüfte, die andere Hand hielt den Griff eines schlanken Schwertes umfasst.
Der Unbekannte strahlte Macht aus, eine ungezähmte Kraft von der Art, die Felsen umstürzt, Bäume knickt, reißenden Flüssen standhält und Feinde in Angst und Schrecken versetzt. Hal und Aud standen da wie gelähmt, konnten sich nicht rühren. Der mächtige Anblick
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