Valley - Tal der Wächter
ihr hier?«
»Im großen Bierzelt ist uns zu viel Gedränge. Da hat uns Vater ein Fässchen für unseren Stand holen geschickt. Wenn die Svenssons vernünftig mitdenken würden, hätten sie längst Fässer verteilt, wie Vater es vor drei Jahren gemacht hat.Aber was kann man von denen schon erwarten? Dieser Schwachkopf Leif ist jetzt schon besoffen, torkelt durch die Gegend und begafft die Mädchen. Man sieht ihm den Hinterwäldler schon von Weitem an. Mich wundert, dass er sich noch nicht an dich rangemacht hat.«
Aud sah aus dem Augenwinkel zu Hal hinüber und räusperte sich. Doch ehe sie etwas sagen konnte, trat Hal vor und hob grüßend die Hand. »Meine Herren, dürfte ich Euch behilflich sein? Wenn es Euch nach Bier gelüstet, beschaffe ich Euch gern im Handumdrehen ein Fass.«
Bis dahin hatte ihn keiner der Jungen auch nur eines Blickes gewürdigt.
»Im Hause Hakons schweigen die Diener, bis sie angesprochen werden«, sagte einer.
»Und größer sind sie auch«, setzte ein anderer hinzu.
»Dafür hat er eine Ohrfeige verdient«, ergänzte ein dritter mit einem spitzen Fuchsgesicht, ein halbes Kind noch. »Für seine Frechheit, meine ich, nicht für seine Körpergröße. Obwohl auch die eine Beleidigung ist.«
»Na schön, Kleiner«, sagte Ragnar Hakonsson von oben herab, »dann hol uns mal ein Fass vom besten Bier, das du auftreiben kannst. Das Fräulein Aud kann uns derweil zum Tanzen auf die Wiese begleiten und uns anschließend beim Trinken behilflich sein.«
Aud hatte Hal erst verdutzt angeschaut, jetzt riss sie sich zusammen. »Aber gern«, erwiderte sie und lächelte in die Runde. Die Jungen traten von einem Bein aufs andere und genossen ihre Aufmerksamkeit. Hal spürte ein eigenartiges Kribbeln im Bauch.
»Worauf wartest du noch?«, fragte Ragnar Hakonsson. »Lauf los, Kleiner!«
Hal lächelte so breit, dass man seine Eckzähne sah. »Gewiss doch, mein Herr.Verzeiht, wenn ich Euer Missfallen erregt habe. Wenn ich Fräulein Aud nur noch diese Äpfel geben dürfte... Jetzt aber rasch! Wenn Ihr am Haupttor wartet, hole ich Euch ein Fass aus dem Zelt dort hinten.«
Hal stapfte eilig durch die Menge davon. Sobald er außer Sichtweite war, verlangsamte er seinen Schritt zwar, schob sich aber zielstrebig voran. Ungesehen von den Bediensteten, die geschäftig Fässer von dem großen Stapel in der Mitte des Bierzelts zu den im Hof wartenden Karren rollten, stahl er sich hinein. Ein rascher Sprung, schon stand er hinter dem Fässerstapel. Er suchte sich ein einzeln stehendes Fässchen mit Zapfhahn aus und rollte es zu einem Riss in der Zeltplane. Im Nu stand er samt Fass wieder draußen im Hof, aber auf der den wartenden Hakonssons abgewandten Seite.
Eilig rollte er das Fässchen in Unns verwaiste Gerberwerkstatt.
Es war ein schmutziges, unangenehmes Geschäft, die von Fleisch und Fell befreiten Häute zu gerben, um daraus widerstandsfähiges Leder zu gewinnen, und wie immer musste Hal bei dem strengen Geruch würgen und sich die Nase zuhalten. Er spähte in Unns Bottiche, in denen die Häute gebeizt wurden. Die Bottiche enthielten einen Sud aus – neben anderen Zutaten – Wasser, Urin, gehäckselter Rinde, verrottetem Grünzeug, saurer Milch und Tierfetten, den besten Zutaten zum Gerben.
Jetzt würden diese Zutaten einem anderen, noch nützlicheren Zweck dienen.
Hal entdeckte einen Krug, stellte ihn unter das Fässchen und füllte ihn mit Bier. Ein paar tüchtige Schlucke trank er, den Rest goss er in einen leeren Bottich. Dann drehte er das Fass um und schraubte den Zapfhahn ab.
Er griff wieder nach dem Krug, schöpfte damit stinkende schwarze Brühe aus dem nächstbesten Bottich und goss den Inhalt vorsichtig, damit nichts danebenging, durch die Öffnung in das Fässchen, in dem es prompt zu brodeln und zu dampfen begann.
Hal überlegte kurz. Reichte das schon?
Immer noch hatte er Ragnars arrogantes Auftreten vor Augen und die besitzergreifende Art, in der er mit Aud gesprochen hatte.
Vielleicht noch ein kleiner Nachschlag.
Ein zweiter Krug Beize wanderte in das Fass, dazu eine Handvoll klebrige weiße Paste aus einer Schüssel, Hühnerkot, dem Geruch nach zu urteilen. Das Zeug diente dazu, die Fleischreste von den Häuten zu lösen.
So. Hal steckte den Zapfhahn wieder auf und marschierte los.
Ragnar Hakonsson und seine Freunde warteten am Tor, wo sie bewundernd im Halbkreis um Aud herumstanden. Als Hal ankam, sahen sie ihm schon ungeduldig entgegen.
»Du hast dir ja ganz schön Zeit
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