Vampir sein ist alles
unauffällig; nichts deutete daraufhin, dass es etwas Außergewöhnliches enthielt. Wovor hatte ich eigentlich Angst? Davor, dass ich auf einen Namen stieß, den ich kannte? Und wenn schon! Sebastian trank doch nur von ihrem Blut; er schlief ja nicht mit ihnen.
Oder?
Was diesen Punkt anging, war ich mir nicht ganz sicher. Bei mir und Sebastian hatte Beißen immer mit Sex zu tun, aber das hieß ja nicht unbedingt, dass es bei den anderen auch so war. Ich hatte mehr als ein Mal gesehen, wie Sebastian seine Zähne in jemandes Hals geschlagen hatte, und es war völlig unerotisch und sehr brutal gewesen - in tödlicher Absicht. Doch vielleicht gab es auch so etwas wie den goldenen Mittelweg ...
Ich schüttelte den Kopf. Da ich niemals gefragt hatte, kannte ich die Antwort natürlich nicht. Ich hatte es noch nie so bedauert wie in diesem Moment, immer an meiner Strategie des Nichtwissenwollens festgehalten zu haben. Wenn ich dieses Buch nun aufschlug und eine der Frauen anrief, wusste ich nicht einmal, oh ich es mit einer Nahrungsquelle oder einem Betthäschen zu tun hatte und ob dazwischen überhaupt ein Unterschied bestand.
Ich legte das Adressbuch auf das Bett - nein, auf unser Bett. Das Bett, in dem Sebastian und ich uns liebten; das Bett, das wir nach unserer Hochzeit miteinander teilen würden. Ich konnte ihn nicht heiraten, solange dieses große Geheimnis zwischen uns stand. Aber trotz allem glaubte ich nicht, dass Sebastian einfach die Zeit vergessen hatte. Er hatte schon immer Blutspenderinnen gehabt und noch nie einen Termin versäumt. Es musste etwas anderes vorgefallen sein, und
vielleicht hatte ihn eine der Spenderinnen noch nach mir gesehen und konnte mir Informationen geben, die mir halfen herauszufinden, wo er war und in welcher Art von Schwierigkeiten er steckte.
Abgesehen davon musste ich ja nur fragen, ob Sebastian da war oder ob die Betreffende ihn heute gesehen hatte.
Ich schloss die Augen und versuchte, meinen Mut zusammenzunehmen, um nach unten zum Telefon zu gehen. Doch statt innere Stärke zu finden, spürte ich nur, wie Lilith sich bemerkbar machte. Das erinnerte mich daran, dass ich es als Erstes mit Magie probieren konnte. Leider verfügte ich nicht über ein eingebautes mentales GPS, aber ich konnte die Verbindung nutzen, die zwischen mir und Sebastian entstanden war, als wir die Vatikanagenten mit unserem Blutzauber besiegt hatten. Zumindest wusste ich dann, ob er noch lebte. Vielleicht konnte ich auch feststellen, ob er irgendwie in Schwierigkeiten geraten war. Es war einen Versuch wert.
Und außerdem musste ich so nicht mit seinen Blutspenderinnen sprechen.
Ich stand auf und legte das kleine schwarze Buch auf die Kommode. Ich wollte es nicht in der Hand haben, damit sich meine Energie nicht darauf konzentrierte. Ich musste den Kopf freibekommen und durfte an nichts anderes denken als an Sebastians Aufenthaltsort. Das Buch hätte meine Visualisierungen und meine Suche negativ beeinflusst.
Da ich schon einmal auf war, schloss ich auch gleich die Tür ab. Das Letzte, was ich wollte, war, dass Mátyás hereinplatzte, um sich über mich lustig zu machen. Dann zog ich mich aus.
Eigentlich hielt ich nicht viel davon, sich zu entblößen, wenn man ein Ritual allein durchführte. In der Gruppe hatte es seinen Sinn, denn es baute Vertrauen auf und schuf genau die Verletzlichkeit, die einen aus seiner Komfortzone an den Ort bringen konnte, an dem die Magie wohnt. Ich fand es mittlerweile eher störend, nackt zu sein, denn ich war über den Punkt hinaus, offen und bloß sein zu müssen, damit die Göttin mich fand. Schließlich trug ich inzwischen eine Göttin in mir.
Aber mein Rock war eng und unbequem, und in meinen Schuhen taten mir einfach die Füße weh. Und da es albern war, halb nackt zu sein, zog ich mich eben ganz aus. Was in diesem Moment eigentlich nicht so dumm war, weil es darum ging, meinen Lover zu finden.
Ich beschloss, mich auf seine Seite des Bettes zu legen. Während ich seinen Geruch, der Kissen und Decke anhaftete, tief einatmete, entspannte ich mich. Von allen Zimmern im Haus entsprach Sebastians Schlafzimmer den Klischees eines Vampirromans am ehesten. Er hatte ein großes Himmelbett mit einem richtigen Baldachin und Vorhängen und allem Drum und Dran. Es war sexy und romantisch - genau wie er.
Die Fenster waren geschlossen, damit die Hitze nicht hereinkam, und die Spitzenvorhänge dämpften das Licht von der Straße. An der einen Wand stand eine prunkvolle
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