Vampirdämmerung / Roman
Decke herunter. Ashe schrak weiter zurück und hielt sich schützend einen Arm vors Gesicht. Aber das Flugding rauschte vorbei, und Ashe fühlte nur den Luftzug, hörte das flappende Geräusch wie bei einem Drachen, der im Aprilwind flatterte. Es fehlte nicht viel, und die Fluggestalt wäre mit der pelzigen Bestie kollidiert. In letzter Sekunde machte sie einen Purzelbaum in der Luft.
»Da bist du ja, alter Junge! Du hast Glück, dass wir dich gehört haben. Wieso bist du wieder hierhergekommen? Ja, das war mal unser Zuhause, aber weißt du denn nicht, dass es kein guter Platz mehr ist?«
Langsam erhob Ashe sich aus ihrer Hocke, den Mund vor Staunen offen. Ein Engel mit Fledermausflügeln, der mit einem riesigen, monströsen Hundeding rangelte? Engel? Junge? Nein, Jugendlicher wohl eher. Jedenfalls hatte er die andere Kreatur an den Ohren gepackt und zerrte halb fliegend, halb laufend an ihr, wobei er wie ein Irrer lachte.
Das war das Schrägste, was Ashe jemals gesehen hatte. Sie hatte nicht übel Lust, ihre Waffe beiseitezulegen und die beiden mit ihrem Kamera-Handy zu knipsen.
»Wer bist du?«, fragte jemand hinter ihr.
Ashe wirbelte herum, den Pflock erhoben. Alle Gedanken schwanden, und es blieb nichts als die Bereitschaft zu morden.
Eine zierliche Frau, kaum älter als ein Mädchen, starrte sie an. Sie war sehr zart, hatte langes dickes Haar von einem Schwarz, wie man es nur mit Tusche hinbekam, und war bleich wie ein Geist. Ashes Herz hämmerte.
Vampir.
Die kleine Vampirin wirkte verwundert und schnupperte dezent in der Luft. »Du solltest nicht hier sein. Es ist zu gefährlich für einen Menschen.«
»Sagte die Katze zu der Maus«, erwiderte Ashe frostig. »Tja, ich hab Neuigkeiten für dich, Mädchen: Diese Maus beißt zurück.«
Die Vampirin zog eine dunkle Braue hoch. »Nun, ich gebe jederzeit unumwunden zu, dass ich nicht die Stärkste meiner Art bin, aber sollte ich dich wirklich verzehren wollen, hätte ich dich bereits geschnappt.«
Ihre Stimme klang hell, und sie sprach mit einem charmanten irischen Akzent. Ihre Augen hingegen blitzten vor Ironie. »Doch ich habe meine Lektion gelernt. Mein letzter Fang erwies sich als Dämon, was ziemlich enttäuschend war.« Ein verträumter Ausdruck trat auf ihre Züge. »Allerdings nur im kulinarischen Sinne.«
Okay. Wieso müssen alle Vampire einem dauernd mehr erzählen, als man wissen will?
Ashe behielt ihre Position bei, sämtliche Sinne in Bereitschaft.
Die Vampirin neigte den Kopf zur Seite. »Du hingegen riechst sehr, sehr lecker.«
Ashe fühlte, wie ihr sämtliche Haare auf dem Kopf zu Berge standen, als wollten sie eine La-Ola-Welle vollführen.
Göttin, hol mich hier raus!
Sie hätte die Vampirin anspringen können, aber das Hundeding stand hinter Ashe. Und der Fledermausjunge blockierte den Eingang zum nächsten Korridor. Sie war an der Steinmauer gefangen, und es war nicht einmal ein Mauseloch in Sicht.
Der Junge kam näher, seine Hände in die Hüften gestemmt. Silberhaar fiel ihm lose über den Oberkörper und Rücken. Er trug nichts außer einer Hose, die wie ein Pyjama-Unterteil aussah. An seiner nackten bleichen Brust wölbten sich kräftige Muskeln. Er hätte ein männliches Pin-up abgegeben, wäre da nicht das riesige Biest bei ihm gewesen, das ihm nachschlurfte und sabberte wie die Niagara-Fälle.
»Belästigt dich die Jägerin, kleine Mutter?«, fragte er.
Mutter?
Die Vampirin neigte ihren Kopf zur anderen Seite und beäugte Ashe, als könnte sie doch noch zu ihrem Abendessen werden. »Nein, keine Sorge, aber ich würde sagen, es ist allerhöchste Zeit, dass sie geht. Sie scheint mir sehr vernarrt in diesen Pflock in ihrer Hand.«
Gehen? Ich würde liebend gern gehen!
Ashe blieb still und rührte sich nicht. Sie war zu misstrauisch, als dass sie freiwillig ihre Unterlegenheit zugäbe.
Die Vampirin reckte ihr Kinn. »Geh weg von meinem Sohn! Geh! Mir ist gleich, wohin.«
Der Fledermausjunge indessen grinste Ashe keck an. »Denk nicht mal daran, dass du mich kriegen könntest!«
Gütige Göttin!
Es war doch überall dasselbe! Mütter beschützten ihre Jungen, und Teenager waren Idioten. »Ihr geht. Ich kehre euch nicht den Rücken zu.«
»Na schön«, stimmte die Vampirin zu und nahm die Hand ihres Sohnes. »Dann rühr dich nicht! Beweg nicht mal ein Haar, bis wir außer Sichtweite sind!«
Ashe stutzte. Das war zu einfach, zu
vernünftig
für Monster.
Aber der Junge blickte sich nervös auf dem Gang um. »Sei nachsichtig,
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