Vampire Academy 04
meinem Kopf.
„Jetzt gehen Sie zu Ihrer Freundin“, sagte sie.
Und das tat ich dann auch. Ich konzentrierte meine Gedanken auf Lissa und fand sie noch immer auf dem Fenstersims. Zum Glück stand sie noch dort oben und lag nicht bereits auf der Erde, aber ich wollte sie von dort weg und zurück im Zimmer haben, bevor doch noch etwas Schlimmes geschah. Das zu bewirken lag jedoch nicht in meiner Macht. Ich war gewissermaßen nur das Taxi. Oksana war diejenige, die Lissa sozusagen vom Sims hinunterreden musste. Allerdings wies nichts darauf hin, dass ich sie tatsächlich mitgenommen hatte. Als ich in Lissas Kopf gesprungen war, hatte ich jegliches Gefühl für Oksana verloren. Kein Kitzeln im Gehirn mehr.
Oksana?, dachte ich. Sind Sie da?
Es kam keine Antwort – zumindest nicht von Oksana. Die Reaktion kam von unerwarteter Seite.
Rose?
Es war Lissas Stimme, die in meinen Gedanken sprach. Sie erstarrte in ihrer Position im Fensterrahmen und unterbrach sich abrupt in dem, was sie eben noch lachend zu Avery hatte sagen wollen. Ich spürte Lissas Entsetzen und Verwirrung, sie wusste nicht, ob sie sich meine Stimme bloß einbildete. Sie sah sich suchend in dem Raum um, ihr Blick glitt dabei auch über Avery hinweg. Avery begriff, dass etwas im Gange war, und ihre Züge verhärteten sich. Ich nahm das vertraute Gefühl ihrer Anwesenheit in Lissas Geist wahr, und es überraschte mich nicht, als Avery abermals versuchte, mich hinauszustoßen.
Nur dass es – nicht funktionierte.
Wenn Avery mich in der Vergangenheit hinausgeworfen hatte, fühlte es sich immer fast wie ein körperlicher Stoß an. Jetzt hatte ich den Eindruck, dass es sich für sie so anfühlen musste, als prallte sie gegen eine Steinmauer. Es war nicht mehr so leicht, mich herumzuschubsen. Irgendwie war Oksana bei mir und lieh mir ihre Stärke. Avery befand sich immer noch in Lissas Blickfeld, und ich sah, wie diese anbetungswürdigen blaugrauen Augen sich vor Schreck weiteten, als ihr klar wurde, dass sie mich nicht kontrollieren konnte.
So, dachte ich. Jetzt bist du dran, Miststück!
Rose? Da war wieder Lissas Stimme. Verliere ich den Verstand?
Noch nicht. Aber du musst da runterkommen, sofort. Ich glaube, Avery versucht, dich zu umzubringen.
Mich umzubringen? Ich konnte Lissas Ungläubigkeit spüren und hören. Das würde sie niemals tun.
Hör zu, lass uns jetzt nicht darüber streiten. Steig einfach von der Fensterbank und lass es gut sein.
Ich spürte den Impuls in Lissa, spürte, wie sie ihr Gewicht verlagerte und langsam einen Fuß vom Fensterbrett nahm. Dann war es, als hielte sie irgendetwas in ihrem tiefsten Inneren auf. Ihr Fuß blieb, wo er war … und sie verlor langsam das Gleichgewicht …
Das war Averys Werk. Ich fragte mich, ob Oksana, die im Hintergrund dieses Bandes lauerte, diesen Zwang wohl überwinden konnte. Nein, Oksana war hier nicht am Werk. Ihre Geistkräfte hatten irgendwie dazu geführt, dass ich aktiv mit Lissa in Verbindung treten konnte, aber sie selbst blieb passiv. Ich hatte erwartet, die Brücke zu sein, und gedacht, Oksana würde in Lissas Kopf springen und sie mit Zwang belegen. Nun verhielt es sich jedoch genau umgekehrt, und ich besaß nicht die Fähigkeit, Zwang auszuüben. Alles, was ich hatte, waren ein legendärer Scharfsinn und meine Überredungskünste.
Lissa, du musst gegen Avery ankämpfen, sagte ich. Sie ist eine Geistbenutzerin, und sie belegt dich mit Zwang. Du bist eine der stärksten Zwangbenutzerinnen, die ich kenne. Du solltest imstande sein, sie zu bekämpfen.
Furcht antwortete mir. Ich kann nicht … ich kann jetzt gerade keinen Zwang ausüben.
Warum nicht?
Weil ich was getrunken habe.
Ich stöhnte im Geiste. Natürlich. Das war der Grund, warum Avery immer so schnell reagierte, wenn es darum ging, Lissa mit Alkohol abzufüllen. Er betäubte den Geist, wie Adrians regelmäßige Gelage bewiesen. Sie hatte Lissa zum Trinken ermutigt, damit ihre Fähigkeiten schwächer wurden und Avery auf geringeren Widerstand traf. Es hatte etliche Gelegenheiten gegeben, bei denen Lissa nicht genau sagen konnte, wie viel Avery eigentlich selbst getrunken hatte; rückblickend musste Avery sich wohl ziemlich gut verstellt haben.
Dann halte dich an gewöhnliche Willenskraft, sagte ich ihr. Du kannst dem Zwang widerstehen.
Und das stimmte auch. Zwang bedeutete nicht automatisch ein Ticket zur Weltherrschaft. Manche Leute konnten ihm besser widerstehen als andere, wobei ein Strigoi oder Geistbenutzer die
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