Vampire Academy 04
noch nicht wusste. Hätte mir die Schule seine Habe überlassen, hätte ich sie jede Nacht mit in mein Bett genommen. Sein Zimmer war jedoch ziemlich schnell ausgeräumt worden. Jetzt blieb mir nur noch, alles zu sammeln, was ich von ihm in die Finger bekommen konnte, so als würde das Horten dieser Informationsbrocken ihn irgendwie bei mir halten.
„Es ist wie jede andere Dhampir-Stadt, schätze ich.“
„Ich war noch nie in einer.“
Der Kellner stellte Sydneys Omelett vor ihr ab, sie stutzte, hielt die Gabel in der Luft. „Wirklich nicht? Ich dachte, ihr alle … hm, ich weiß nicht.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich war mein Leben lang in der Akademie. Mehr oder weniger.“ Meine zwei Jahre unter Menschen waren nicht wirklich relevant.
Sydney kaute nachdenklich. Ich hätte wetten mögen, dass sie das Omelett nicht aufessen würde. Nach allem, was ich an jenem ersten Abend und während der Wartezeit an den Bahnhöfen gestern gesehen hatte, schien sie kaum etwas zu sich zu nehmen. Es war, als lebte sie allein von Luft. Vielleicht war das noch so eine Alchemistensache. Höchstwahrscheinlich war es einfach eine Sydney-Sache.
„Die Stadt wird halb von Menschen und halb von Dhampiren bewohnt, aber die Dhampire fügen sich ein. Sie haben eine komplette Untergrundgesellschaft gebildet, von der die Menschen absolut nichts ahnen.“
Ich hatte schon immer vermutet, dass es dort eine ganze Subkultur geben müsse, aber ich hatte keine Vorstellung davon, wie sie in den Rest der Stadt hineinpassen würde. „Und?“, fragte ich. „Wie ist diese Subkultur denn so?“
Sie legte ihre Gabel beiseite. „Sagen wir einfach, du solltest dich lieber ein bisschen zusammennehmen.“
5
Der Rest der Reise verlief ereignislos. Sydney konnte das Unbehagen, das sie in meiner Nähe zu verspüren schien, zwar nie ganz abschütteln, aber während ich versuchte, aus dem russischen Fernsehen schlau zu werden, nahm sie sich manchmal die Zeit, mir zu erklären, was da genau vor sich ging. Es gab einige kulturelle Unterschiede zwischen diesen Sendungen und jenen, mit denen wir beide aufgewachsen waren, daher hatten wir zumindest das gemeinsam. Ab und zu riskierte sie sogar ein Lächeln über etwas, das wir beide komisch fanden, und ich spürte dann, dass in ihr jemand steckte, mit dem ich mich möglicherweise anfreunden konnte. Ich wusste genau, dass ich niemals einen Ersatz für Lissa finden würde, aber ein Teil von mir sehnte sich wohl noch immer danach, die Leere zu füllen, die durch unsere Trennung entstanden war.
Sydney döste während des ganzen Tages, und ich glaubte langsam, dass sie an Schlaflosigkeit litt und daher einfach bizarre Schlafmuster entwickelt hatte. Außerdem setzte sie ihren gleichermaßen seltsamen Umgang mit Nahrung fort und rührte ihre Mahlzeiten kaum an. Sie überließ mir stets ihre Reste und traute sich, was die russische Küche anging, ein bisschen mehr als ich. Ich hatte seit meiner Ankunft in diesem Land herumexperimentieren müssen, und es war schön, von jemandem beraten zu werden, der zwar kein Einheimischer war, aber viel mehr über Russland wusste als ich.
Am dritten Tag unserer Reise erreichten wir Omsk. Die Stadt war größer und hübscher, als ich es in Sibirien vermutet hätte. Dimitri hatte mich immer damit aufgezogen, dass meine Vorstellungen, Sibirien sähe aus wie die Antarktis, völlig falsch seien, und jetzt erkannte ich, dass er recht gehabt hatte – zumindest was den südlichen Teil der Region betraf. Auch das Wetter unterschied sich nicht sehr von dem, was ich zu dieser Jahreszeit aus Montana gewohnt war – kühle Frühlingsluft, die gelegentlich vom Sonnenschein erwärmt wurde.
Sydney hatte mir bei unserer Ankunft in Omsk erklärt, dass einige Moroi, die sie kannte, uns mitnehmen würden. In der Stadt lebten mehrere von ihnen, die allerdings in der großen Einwohnerzahl untergingen. Doch im Laufe des Tages stießen wir auf ein Problem. Keiner der Moroi wollte uns zu dem Dorf bringen. Offenbar war die Straße gefährlich. Nachts lungerten dort, in der Hoffnung, reisende Moroi oder Dhampire zu erwischen, häufig Strigoi herum. Je genauer Sydney die Situation erklärte, desto größere Sorgen machte ich mir um meinen Plan. Anscheinend gab es in Dimitris Stadt selbst nicht so viele Strigoi. Sydney zufolge lagen sie rundherum in der näheren Umgebung auf der Lauer, doch nur wenige lebten dauerhaft im Dorf selbst. Wenn das der Fall war, sanken meine Chancen, Dimitri zu finden,
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