Vampire Academy 04
mich während des Rests der Mahlzeit nicht aus den Augen gelassen, und obwohl sie sonst nichts weiter gesagt hatte, vermittelte mir ihr argwöhnischer Blick die klare Botschaft, dass sie mir kein Wort glaubte. Ich lud Sydney ein mitzukommen, aber sie lehnte ab und verbarrikadierte sich stattdessen lieber in einem Schlafzimmer, um etwas über griechische Tempel zu lesen oder weltbewegende Telefongespräche zu führen, oder zu tun, was sie eben so tat.
Viktoria sagte, die Innenstadt sei nicht weit von ihrem Haus entfernt und leicht zu Fuß zu erreichen. Der Tag war kühl und klar, mit ausreichend Sonne, um den Aufenthalt im Freien zu einem angenehmen Erlebnis zu machen.
„Wir bekommen nicht oft Besuch“, erklärte sie. „Bis auf Moroi-Männer, aber die meisten bleiben nicht lange.“
Mehr sagte sie nicht, aber ich fragte mich, worauf sie hinauswollte. Suchten diese Moroi-Männer nur ihr Vergnügen bei Dhampir-Frauen? Ich war mit der Auffassung groß geworden, diese Frauen – Dhampire, die sich dagegen entschieden, Wächter zu werden – als schändlich und schmutzig anzusehen. Die Frauen in der Nachtigall hatten meine stereotypen Vorstellungen von Bluthuren bestätigt, aber Dimitri hatte mir versichert, dass nicht alle Dhampir-Frauen so waren. Und nachdem ich die Belikovs kennengelernt hatte, glaubte ich ihm.
Als wir uns dem Stadtzentrum näherten, ging schon bald ein weiterer meiner Mythen in die Brüche. Die Leute sprachen immer von Bluthuren, die in Lagern oder Kommunen lebten, aber das war hier überhaupt nicht der Fall. Baja war zwar nicht so riesig wie Sankt Petersburg, nicht mal so groß wie Omsk, aber es war eine richtige Stadt mit einem hohen menschlichen Bevölkerungsanteil. Und ganz sicher kein ländliches Lager oder eine Kommune. Die ganze Umgebung war erstaunlich normal, und als wir den Stadtkern mit seinen kleinen Läden und Restaurants erreichten, wirkte auch dieser wie in jedem anderen Ort auf der Welt, an dem sich gut leben ließ. Modern und alltäglich und eine Spur dörflich.
„Wo sind all die Dhampire?“, fragte ich mich laut. Sydney hatte gesagt, es gebe hier eine geheime Dhampir-Subkultur, aber ich konnte keinerlei Anzeichen dafür entdecken.
Viktoria lächelte. „Oh, sie sind hier. Wir haben eine Menge Geschäfte und Orte, von denen die Menschen nichts wissen.“ Obwohl ich verstehen konnte, dass Dhampire in großen Städten nicht weiter auffielen, erschien es mir doch bemerkenswert, hier damit durchzukommen. „Und viele von uns leben und arbeiten einfach mit Menschen.“ Sie deutete mit dem Kopf auf einen Laden, der wie eine Drogerie aussah. „Dort arbeitet Sonja jetzt.“
„Jetzt?“
„Jetzt, da sie schwanger ist.“ Viktoria verdrehte die Augen. „Ich würde dich ihr vorstellen, aber in letzter Zeit ist sie ständig schlecht gelaunt. Ich hoffe, das Baby kommt früher.“
Damit ließ sie es bewenden, und ich dachte weiter über die Dynamik der Dhampire und Moroi in dieser Stadt nach. Wir berührten das Thema nicht mehr, und unser Gespräch verlief unbeschwert und sogar neckend. Viktoria machte es einem leicht, sie zu mögen, und binnen einer einzigen Stunde plapperten wir, als hätten wir einander schon immer gekannt. Vielleicht band mich meine innige Verbindung zu Dimitri auch an seine Familie.
Ich wurde in meinen Überlegungen unterbrochen, als jemand Viktorias Namen rief. Als wir uns umdrehten, kam ein total süßer Dhampir-Junge über die Straße auf uns zu. Er hatte bronzefarbenes Haar und dunkle Augen, und was das Alter anging, lag er vermutlich irgendwo zwischen Viktoria und mir.
Er wechselt im Plauderton einige Worte mit ihr. Sie grinste ihn an, deutete dann auf mich und stellte mich auf Russisch vor. „Das ist Nikolai“, erklärte sie mir auf Englisch.
„Freut mich, dich kennenzulernen“, sagte er und wechselte ebenfalls die Sprache. Er unterzog mich einer schnellen, für Jungen typischen Musterung, doch als er sich wieder Viktoria zuwandte, gab es keinen Zweifel daran, wer das Objekt seiner Begierde war. „Du solltest Rose mit auf Marinas Party nehmen. Sonntagnacht geht es los.“ Er zögerte und wurde ein wenig schüchtern. „Du gehst doch hin, oder?“
Viktoria wurde nachdenklich, und mir wurde klar, dass sie von seiner Verliebtheit rein gar nichts mitbekam. „Ich werde da sein, aber …“ Sie drehte sich zu mir um. „Wirst du dann noch in Baja sein?“
„Das weiß ich nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Aber sollte ich noch hier sein,
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