Vampire Academy 04
wenn sie mit mir gegangen wäre, vor Schwierigkeiten hätte bewahren können. Nein. Am stärksten belastete Lissa, dass sie nicht einmal daran gedacht hatte, mit mir zu kommen. Ich war ihre beste Freundin. Soweit es sie betraf, hätte das ihre unmittelbare Reaktion auf meinen Abschied sein sollen. So war es aber nicht gewesen, und jetzt plagte Lissa das schlechte Gewissen noch mehr, als es ohnehin schon der Fall war. Das Gefühl der Schuld nagte unaufhörlich an ihr, und gelegentlich verwandelte sie es in Wut, um den Schmerz etwas zu lindern. Doch es half nicht viel.
Auch im weiteren Verlauf des Abends verbesserte sich ihre Stimmung nicht. Kurz nach der Ankunft der Gruppe gab die Königin einen kleinen Empfang für die hochrangigsten aller Besucher, die an den Hof gekommen waren. Lissa hatte schnell herausgefunden, dass die Königin immer die eine oder andere Party zu geben schien. Früher einmal hätte Lissa ihren Spaß daran gehabt. Doch mittlerweile hatte ihre Einstellung sich geändert, zumindest wenn es um diese Art von Partys ging.
Doch Lissa verschloss ihre dunklen Gefühle in ihrem Herzen; sie beherrschte die Rolle des netten adeligen Mädchens noch immer sehr gut. Die Königin schien glücklich darüber zu sein, dass Lissa einen „geeigneten“ königlichen Freund hatte, und sie war gleichermaßen erfreut, als Lissa die anderen Royals und Würdenträger, die man ihr vorstellte, ganz offensichtlich beeindruckte. An einem Punkt jedoch geriet Lissas Entschlossenheit beinahe ins Wanken.
„Bevor Sie sich zurückziehen“, sagte Tatiana, „sollten wir über Ihre Wächter sprechen.“
Sie und Lissa standen bei einer Gruppe von Bewunderern und Gefolgsleuten, die respektvoll Abstand wahrten. Lissa hatte mit leerem Blick auf die Bläschen in ihrem unberührten Champagnerglas gestarrt und schaute jetzt erschrocken auf.
„Wächter, Euer Majestät?“
„Nun, es gibt leider keine taktvolle Art, es auszudrücken, aber nun stehen Sie bedauerlicherweise ohne jedweden Schutz da.“ Die Königin hielt respektvoll inne. „Belikov war ein guter Mann.“
Mein Name kam ihr natürlich nicht über die Lippen. Ebenso gut hätte ich niemals existieren können. Sie hatte mich nie gemocht, vor allem, da sie fürchtete, ich würde mit Adrian durchbrennen. Allem Anschein nach war Lissa aufgefallen, dass Tatiana nachdenklich dabei zugesehen hatte, wie Avery und Adrian miteinander flirteten. Es ließ sich schwer sagen, ob die Königin dies missbilligte. Abgesehen von ihrem Hang zu Partys, schien Avery ein vorbildliches Mädchen zu sein – allerdings hatte Tatiana immer den Wunsch gehabt, dass Lissa und Adrian eines Tages zusammenkommen würden.
„Ich brauche im Augenblick keinen Schutz“, erwiderte Lissa höflich, während sich ihr das Herz zusammenkrampfte.
„Nein, aber Sie werden die Schule bald verlassen. Wir denken, einige hervorragende Kandidaten für Sie gefunden zu haben. Einer davon ist eine Frau – ein wahrer Glückstreffer.“
„Janine Hathaway hat sich erboten, meine Wächterin zu werden“, sagte Lissa plötzlich. Das hatte ich nicht gewusst, aber als sie sprach, las ich die Geschichte in ihrem Gedächtnis. Nicht lange, nachdem ich Lissa verlassen hatte, war meine Mom an sie herangetreten. Ich war etwas schockiert. Meine Mom war ihrem derzeit zugeteilten Schutzbefohlenen gegenüber sehr loyal. Ein Wechsel wäre ein großer Schritt für sie gewesen.
„Janine Hathaway?“ Tatiana zog die Augenbrauen fast bis zum Haaransatz hoch. „Ich bin überzeugt, dass sie andere Verpflichtungen hat. Nein, wir haben weitaus interessantere Kandidaten. Diese junge Dame ist nur wenige Jahre älter als Sie.“
Eine bessere Kandidatin als Janine Hathaway? Höchst unwahrscheinlich. Vor Dimitri war meine Mutter der goldene Maßstab gewesen, an dem ich Unerschrockenheit gemessen hatte. Tatianas „junge Dame“ war zweifellos jemand, der unter dem Einfluss der Königin stand – und, wichtiger noch, sie war keine Hathaway. Die Königin mochte meine Mom genauso wenig wie mich. Und als Tatiana mich wieder einmal wegen irgendeiner Sache maßregeln musste, spielte sie dabei auf einen Mann an, mit dem meine Mutter wohl eine Beziehung gehabt hatte – und von dem ich argwöhnte, dass er vielleicht mein Vater sein könnte, ein Mann namens Ibrahim. Das Komische daran war, dass die Königin so geklungen hatte, als wäre sie selbst einmal an diesem Mann interessiert gewesen, sodass ich mich fragen musste, ob das womöglich einer der
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