Vampire Academy 05
Stunden herumzusitzen … wie die Wachen in Tarasov. Das Wächterleben beinhaltete alle möglichen unrühmlichen – aber notwendigen – Aufgaben.
In diesem Augenblick wurde mir erst richtig bewusst, dass ich mich ja draußen in der realen Welt befand. Die Furcht traf mich wie ein Faustschlag. Ich hatte den Titel einer Wächterin angenommen, als ich meinen Abschluss bekam, aber hatte ich auch wirklich verstanden, was er bedeutete? Oder spielte ich nur die Wächterin, genoss die Höhepunkte und ignorierte die Konsequenzen? Ich hatte die Schule hinter mir. Für diese Geschichte würde es kein Nachsitzen geben. Dies hier war real. Hierbei ging es um Leben und Tod.
Mein Gesicht musste meine Gefühle verraten haben. Hans quittierte meine Reaktion mit einem kleinen, grausamen Lächeln. „Das ist schon richtig. Wir haben die verschiedensten Möglichkeiten, Unruhestifter zu zähmen. Zu Ihrem Glück wurde über Ihr Schicksal noch nicht abschließend entschieden. Und in der Zwischenzeit gibt es hier eine ganze Menge Arbeit, die getan werden muss und bei der Sie sich beide nützlich machen können.“
Diese Arbeit entpuppte sich im Laufe der nächsten Tage als eine üble, körperliche Schufterei. Ehrlich, es unterschied sich nicht allzu sehr von Nachsitzen, und ich war mir ziemlich sicher, dass diese Aufgaben nur deshalb geschaffen wurden, um Tunichtguten wie uns eine schreckliche Beschäftigung zu geben. Wir arbeiteten zwölf Stunden am Tag, einen großen Teil davon im Freien, wo wir Steine und Erde schleppten, um einen neuen, hübschen Innenhof für einige der Stadthäuser der Royals anzulegen. Manchmal wies man uns auch Putzarbeiten zu, wir mussten Böden schrubben. Ich wusste, dass sie für diese Arbeiten normalerweise Moroi angestellt hatten, die im Augenblick aber wahrscheinlich Urlaub machen durften.
Trotzdem, es war besser als die anderen Aufträge, die Hans uns zuwies: das Sortieren und Ablegen von Bergen von Papieren. Dies regte mich zu einer neuen Wertschätzung für die digitale Verarbeitung von Informationen an … und weckte neuerliche Sorgen in mir, was die Zukunft betraf. Wieder und wieder dachte ich über dieses erste Gespräch mit Hans nach. Die Drohung, dass dies mein Leben sein könnte. Dass ich niemals eine Wächterin sein würde – nicht im wahren Sinne –, weder für Lissa noch für irgendeinen anderen Moroi. Während meiner ganzen Ausbildung hatten wir immer ein Mantra gehabt: Sie kommen zuerst. Wenn ich meine Zukunft wirklich und wahrhaftig vermasselt hatte, dann würde ich ein neues Mantra haben: A kommt zuerst. Dann B, C, D …
Diese Arbeitstage hielten mich von Lissa fern, und auch das Empfangspersonal in unseren jeweiligen Gebäuden überschlug sich geradezu, um uns voneinander fernzuhalten. Es war zum Verzweifeln. Ich konnte sie zwar durch das Band verfolgen, aber ich wollte doch mit ihr reden. Ich wollte zumindest mit irgendjemandem reden. Auch Adrian hielt sich fern und machte sich nicht die Mühe, mich in meinen Träumen zu besuchen, so dass ich mich fragte, wie er sich fühlen mochte. Wir hatten nach Las Vegas niemals unser Gespräch geführt. Eddie und ich arbeiteten häufig Seite an Seite, aber er sprach nicht mit mir, was zur Folge hatte, dass ich stundenlang mit meinen eigenen Gedanken und Schuldgefühlen allein war.
Und wahrhaftig, ich hatte jede Menge Dinge, die meine Schuldgefühle verschärften. Bei Hof nahmen die Leute Arbeiter nicht wirklich wahr. Also redeten sie stets so, als sei ich nicht zugegen, ganz gleich, ob ich drinnen oder draußen beschäftigt war. Das größte Thema war Victor. Der gefährliche Victor Dashkov befand sich auf freiem Fuß. Wie konnte das geschehen? Verfügte er über Kräfte, von denen niemand etwas wusste? Die Leute hatten Angst, und einige waren sogar davon überzeugt, dass er bei Hof auftauchen und versuchen würde, alle im Schlaf zu ermorden. Die Theorie vom Insiderjob stand hoch im Kurs, was weiterhin dazu führte, dass wir über jeden Verdacht erhaben waren. Unglücklicherweise bedeutete es auch, dass sich jetzt viele Leute Sorgen um Verräter in ihrer Mitte machten. Wer wusste denn, wer vielleicht für Victor Dashkov arbeitete? Spione und Rebellen konnten bei Hof herumlungern und alle möglichen Gräueltaten planen. Ich wusste zwar, dass all diese Geschichten übertrieben waren, aber das spielte ja keine Rolle. Sie alle entsprangen einem Körnchen Wahrheit: Victor Dashkov spazierte als freier Mann durch die Welt. Und nur ich – und meine
Weitere Kostenlose Bücher